Der "Data Spind" im neuen Grazer Kunsthaus: japanisches Hotel für hochaktive Rechner.

Foto: Kunsthaus Graz
Die Schließfachanlage versucht, virtuelle Weiten real greifbar zu machen.


"Der Medienkunst geht es momentan nicht gut." Der Medienkünstler Franz Xaver, der das medien.Kunstlabor im Grazer Kunsthaus mitbetreut, macht sich keine Illusionen über die Rezeption von Netzkunst außerhalb kundiger Insiderkreise - respektive ihre Rezipierbarkeit, geht doch die Kunst im Netz allzu leicht unter, verliert sich in der Matrix, die ständig Neues generiert und Trash zuhauf.

Die Bilder mögen darin noch so "kunstig" flackern; am Ende sei das alles aber nicht mehr transportabel. Seit mehreren Jahren arbeiten Ute Angeringer und Wolfgang Reinisch an einer "Bestandsaufnahme" von Kunstprojekten im Internet, einer Enzyklopädie zur Netzkunst in der Steiermark rund um Plattformen wie mur.at oder xarch.

Dazu fehlt es jedoch bislang an tauglichen Archivierungswerkzeugen. "Der Geschwindigkeit des Mediums entsprechend unterliegen Daten permanenten Veränderungen, durch unterschiedliche Benutzerabhängigkeiten werden sie verschieden rezipiert; durch Absturz, Änderungen in den Systemen, mangelnde Wartung gehen sie verloren, ohne Spurensicherung."

Die ursprünglich euphorische Vorstellung, welche das Internet als unerschöpflichen Speicher aller Information sah, habe sich relativiert: "Mit der Geschwindigkeit, mit der die Menge an Informationen ansteigt, scheint sich die durchschnittliche Halbwertszeit von Netzprojekten zu verringern."

Das Ganze bräuchte also einen Rahmen, würde der Normalverbraucher meinen, so etwas wie eine sichtbare Begrenzung, die mundgerechte, aber delikate Stückchen vorab garantiert, respektive einen Ort, an dem die Inhalte, zumindest wohl dem Anschein nach, ein Stück weit Wurzeln schlagen könnten.

Der Vielfalt verstreuter Netzkunst endlich beizukommen würde demnach meinen, das virtuelle Gewebe mit haptischen Qualitäten zu versorgen, der Ortlosigkeit der von überall in alle Richtungen führenden intergalaktischen Achterbahn zu begegnen, dem Netzwerk selbst ein Gramm Wahrnehmbarkeit zu gönnen - solchem naiv-heroischen Ansinnen steht in Graz nun für die Dauer der nächsten zwei Jahre eine tastbar, wenn schon nicht Fleisch gewordene Verkörperung zunutze.

Auf den ersten Blick ist der von Franz Xaver für das medien.Kunstlabor entwickelte "Data-Spind" nämlich so ein Ort. Zuvorderst versteht er sich als skulpturales Statement. Das minimalistische Behältnis entspricht optisch ziemlich genau dem, was als Schließfachwand in jedem Bahnhof herumsteht, dazu bereit, für kurze Zeit die unterschiedlichsten Dinge in sich aufzunehmen, zu verstauen.

Nicht länger verborgen soll jedoch der Inhalt der 60 Fächer sein. Offen wird zutage liegen, was in ihnen untergebracht ist: Rechner von Künstlern, Netzwerk- und Communitydesignern, jeweils gratis ausgerüstet mit Strom und hoher Bandbreite: "Die Betreiber sind dann in ihren Rechnern präsent." - Und trotzdem sieht man nicht wirklich viel von ihnen. Zu bestaunen sind Computer-Rücken, die entzücken, weil in bläulich-coole Beleuchtung getaucht, wie sie manch Computer-Prolo zum Aufmotzen seines Gehäuses - sprich: Ofen am Datenhighway - gern verwendet.

Hier wie dort dient das blaue Licht zur Stimmungsmache angesichts der hohen Technik, synergetisch beigestellt dem Rauschen der zig Ventilatoren, welche die Hardware vor dem Heißlaufen bewahren. Darauf wartet man bereits gespannt. Das wäre dann der Inkorporation ultimativer Kick, besinnt man sich aufs "Rauschen" als kybernetischen Informationsbegriff.

Bindeglied zwischen Netz und Welt

Kein System "Schöne-Webseiten-Server" ist freilich angedacht. Die Netzkunst hat sich sowieso schon immer gegen die digitale Abbildung analoger Bildformen gestellt, auch keine Plattform soll entstehen, auf der sich Interaktivität zwingend nach Art engagierter Laienspielgruppen einstellte, dem trauten Verweilen im Mit- und Füreinander folgend. Die Rechner stehen nebeneinander, damit erschöpft sich ihre Gemeinsamkeit.

Franz Xaver versteht sich als Bindeglied zwischen den Netzwerkaktivisten und dem Rest der Welt. Das Wort "Kunst" wird hier vermieden, schließlich gehörte der traditionelle, kommerzielle Kunstbetrieb samt essenzialistischen Autor- und Werkbegriff zu den ersten Zielen der provokationsbereiten Netzszene. Er will die "Leute aus den Kellern rausholen und in einen adäquaten Raum stellen" - der dann aber doch wieder ein Kunstraum sein darf.

So ergibt sich ein Wechselspiel zwischen alt-verträumtem Rahmen, der auch im Fall des Kunsthauses, das samt origineller Fassadenbespielung ein ewig leuchtend-flackerndes Ereignis darstellen will, noch traditionell genug ausfällt, und jener grenzenlosen Weite, in welcher sich verborgen, doch allgegenwärtig das Netz spannt.

1994, bevor das Internet auf allen Schirmen offen stand, war die "Elektronische Galerie", die Franz Xaver gemeinsam mit Max Kossatz auf den Weg quer durch Österreich brachte, gewissermaßen der Prototyp des nunmehr institutionalisierten medien.Kunstlabors, als Versuchsanordnung an der Schnittstelle zwischen Kunst und Technologie konzipiert, die, frei nach Kosuth, einen Sender neben einem TV-Gerät und ein schwülstig barock eingefasstes TFT-Display exponierte und 50 Künstler einlud, den damit etablierten Kunstkanal per Telefon oder per Fax mit Bildmaterial zu speisen.

Unter Verschluss

Heute klingt das stark nach Höhlenmalerei, das Internet ist bald in jeder Dose, greift zunehmend ins Leben ein, und Franz Xaver steht dem Ganzen durchaus skeptisch gegenüber, hält die Entwicklung nicht für gänzlich ungefährlich. Die Schließfachwand wirkt, so gesehen, auch beruhigend, stellt quasi die Umkehrung der im Film Matrix entwickelten Endzeitvision her: Es sind noch die Maschinen, die eingeschlossen am Tropf hängen und eifrig ventilieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.10.2003)