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Evo Morales, Oppositionsführer

Foto: Reuters/Mercado
Für das Establishment ist Evo Morales der Staatsfeind Nummer eins: Kokabauer, Indio, Marxist, Gewerkschafter, notorischer Straßenblockierer und Aufrührer. Für die verarmten Indios, die in Bolivien die Bevölkerungsmehrheit stellen, ist er ein Held und ein Hoffnungsträger. Der zweifache, ledige Vater soll Prognosen zufolge den Wahlsieg bei den Präsidentschaftswahlen vom Sonntag bereits in der ersten Runde gewonnen haben, obwohl sein rechter Gegner Jorge Quiroga ihn als Drogenhändler und Schreckgespenst für Investoren abgestempelt hatte.

Geboren am 26. Oktober 1959 in einem bitterarmen Dorf der südlichen Provinz Oruro, musste Morales die weiterführende Schule abbrechen und stattdessen Lamas hüten. Spanisch spricht er bis heute nicht fehlerfrei. 1982 kostete ihn eine Hungersnot im Hochland fast das Leben. Von seinen sechs Geschwistern überlebten nur zwei. Er floh in das Koka-Anbaugebiet Chapare, wo er Bekanntschaft mit den kämpferischen Gewerkschaften machte.

Rund 40.000 Familien leben in dem subtropischen Tiefland vom illegalen Verkauf der Kokablätter. Morales war bei Streiks, Demonstrationen und Straßenblockaden dabei. Unzählige Male saß er deshalb im Gefängnis. Er sagt, er sei auch gefoltert worden.

Doch all das hat dem Bewunderer "Che" Guevaras seine sozialistischen Ideen nicht ausgetrieben und seine Popularität nur erhöht - vor allem bei den Ureinwohnern. 1992 wurde er Vorsitzender der Kokabauerngewerkschaft, 1997 mit 70 Prozent der Stim- men seines Wahlbezirkes zum Kongressabgeordneten gewählt. Seine Partei, die "Bewegung zum Sozialismus" (MAS), hatte zuvor schon lokale Erfolge eingefahren.

Der impulsive Mann vertritt unbeirrt das Recht auf Koka-Anbau, wohl wissend, dass die Kokablätter des Chapare nicht nur dem rituellen und medizinischen Gebrauch dienen, sondern auch in Labors der Drogenmafia landen. Morales fordert die Verstaatlichung der Grundstoffindustrien und die Rückkehr zum Agrarstaat. In La Paz zeigte er sich nur selten, blieb lieber in seiner Hochburg Cochabamba oder reiste nach Venezuela.

Der große Mann, der von Quechua- und Aymara-Indianern abstammt, spielt in seiner Freizeit gern Fußball und trägt stets Jeans und legere Hemden.

Unter Interimspräsident Carlos Mesa wandelte sich Morales vom renitenten Demonstranten zum gewieften Politiker: Er legte sich einen demokratischen Diskurs zu und kombinierte geschickt den Druck der Straße mit parlamentarischen Winkelzügen. Bei Mesas Sturz passierte jedoch das, was Beobachter nun auch für die größte Gefahr seiner Präsidentschaft halten: Evo Morales wurde von den Forderungen seiner deutlich radikaleren Basis eingeholt. (DER STANDARD, Printausgabe, 20.12.2005)