Coverfoto: Gold Musikverlag/BMG
Und warum nicht Phillip Boa? Diejenigen, die den notorischen Zwischen-den-Stühlen-Sitzer schon in den 80ern belächelten, wird man ohnehin nicht bekehren können. Und die, die sich laut einem seinerzeitigen "X-Large"-Beitrag (oder wie immer das Alibi-Jugendprogramm des ORF da gerade hieß) mehr oder weniger stolz zur beim Konzert versammelten sinistren Jugend zählen durften, kann man immerhin darauf aufmerksam machen, dass die aktuelle "C 90"-Platte nach einem Jahrzehnt relativer Leerläufe endlich wieder an den Stil anknüpft, der Boa in der zweiten Hälfte der 80er halbgroß machte.

Boa passte weder in die Hitparade noch in die Plattenregale der dogmatischen "Underground"(...)-Fraktion, die sich wahlweise an britischem Pop oder US-Rock orientierte, wenn es um Gitarrenmusik ging. Zwar wurzelte auch die Musik des Voodooclub gleichermaßen in Spätsechziger-Psychedelicrock und Punk, nur kam durch den Einsatz mehrerer Schlagzeuge, verquerer Rhythmen und eingefügter Streicher- und diverser Exotiksamples irgendwie ganz was anderes dabei raus. - Zu künstlich für die einen, gerade richtig für die anderen; Geschmackssache halt.

"This is the End of Music"

In den 90ern versandelte der Voodooclub dann allmählich: Kurzfristige Experimente mit Elektronischem und deutscher Sprache funktionierten ausnahmsweise nicht, und dann verließ auch noch Begleitsängerin Pia Lund die allmählich zum Einmannprojekt werdende Band. Jetzt ist sie wieder mit dabei, und es tat der Chemie gut. Nach wie vor können beide nicht so wirklich singen; Boa bleibt dumpf und Lund quäkt - aber in Kombination ergibt das eine ausgesprochen reizvolle Mischung.

"C 90" ist gewiss ein wenig glatter geraten als die ersten Alben "Philister" ('85), "Aristocracie" ('86/'87), "Copperfield" ('88) und "Hair" ('89) - schließt aber soundmäßig besser daran an als so ziemlich alles seitdem Gemachte. Brummbässe, Dreschbeats, Parolen-Refrains nebst lundschem Säuselgesang und Stop-and-go-Gitarrenriffs wie bei den seinerzeitigen Mini-Hits "Annie Flies the Love Bomber" und "Kill your Ideals" zeichnen die - damals wie heute - wohltuend anders gebürstete Musik des Voodooclub aus.

"I'm a little complicated"

Fallen die Songs krachiger aus - "It's not Punk anymore, it's now New Wave" oder "Courtney Love why not" etwa - schließt sich der Zeitkreis zu Boas Beginnphase komplett. Dazwischen schiebt sich Mitsingbares wie das ohrwurmige "Punch & Judy Club", das wesentlich besser klingt als die eher fade erste Auskoppelung "Slipstream".

Schöne Balladen (ja, sorry für das vermeintlich abgedroschene Wort schön, aber sie sind's halt) wie "By a Soul in Hell", "V" oder das sphärische "Sunfeel" nehmen zwischenzeitlich das Tempo raus, damit "C 90" nicht zu gleichförmig dahinrumpelt - ehe dann wieder geboarockt wird. Extraerwähnung noch für das Schlussstück "Felt a Great Moment", in dem die maltesische "Gastsängerin" Alison Galea von den Beangrowers, schon seit Jahren ständige Bühnen-Begleiterin Boas, kurz zeigt, was eine Stimme mit vollem Timbre ausmachen kann - reizvoller Kontrast zum Stammduo, deren eigenwillige Sangesleistungen aber auf keinen Fall geschmälert werden sollen.

"I'm an Ex 1/2-Popstar"

Rückwärtsgewandt ist "C 90" nicht nur musikalisch, sondern auch was die Songinhalte anbelangt. In Zeilen wie "I'm the Anti-Establishment of the Anti-Establishments" oder "I'm an Ex 1/2-Popstar" spielt Boa auf seinen Platz zwischen allen Stühlen und Szenen an.

Die eigene Person zu thematisieren ist ohnehin keine üble Idee, wenn man wie sich wie der Dortmunder Boa jahrelang aus dem musikalischen Geschehen seiner Heimat ins ruhige Exil auf Malta zurück gezogen hat. Sonst endet man eines Tages auf einer Veranda mit der Ersten Allgemeinen Verunsicherung, schaukelt sich in den Sonnenuntergang Kenias und glaubt, trotzdem noch "kritische" Songs über die Lage daheim schreiben zu können.

"Felt a Great Moment"

... also Phillip Boa, doch. (Josefson)