Brüssel - EU-Kommissionspräsident Romano Prodi begrüßt, dass
sich der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am zweiten Tag des
bevorstehenden EU-Gipfels in Brüssel vom französischen
Staatspräsidenten Jacques Chirac vertreten lässt. "Es ist
begrüßenswert, wenn herkömmliche Barrieren übersprungen werden",
sagte Prodi am Mittwoch in Brüssel. Eine Umgehung der europäischen
Institutionen befürchte er dadurch nicht. Er hoffe vielmehr, dass
dieses Modell in anderen Fällen wiederholt werde, sagte der
Kommissionspräsident.
Der Fraktionsvorsitzende der Europäischen Konservativen im
Europaparlament, Hans-Gert Pöttering, hatte die Stimmübertragung
zuvor kritisiert. Dass Schröder am zweiten Tag des Gipfels nicht
selbst teilnehme, sei "Ausdruck einer bisher unbekannten Missachtung
der EU-Partner". Die Übertragung der deutschen Stimmrechte auf den
französischen Staatschef sei "eine Provokation der kleinen
Mitgliedstaaten". Die damit dokumentierte "Blockbildung der größten
Mitgliedstaaten" könnte zu einem "verheerendem Reflex bei den
kleineren Mitgliedstaaten führen".
Warnung vor "Machtkämpfen"
Vor dem Gipfel am Donnerstag und Freitag warnte Prodi die Staats-
und Regierungschefs vor "Machtkämpfen" um die künftige EU-Verfassung.
Dies könne sich negativ auf die öffentliche Meinung auswirken, man
müsse auch an die bevorstehenden Referenden über die EU-Verfassung in
einigen Ländern denken. Prodi sieht zudem "nicht viel Zeit, bis Ende
Dezember ein Ergebnis zu erzielen", so wie dies der italienische
EU-Vorsitz anstrebt. Er bekräftigte die Forderung der Brüsseler
Behörde, dass jedes der künftig 25 Mitgliedsländer mit einem
stimmberechtigten Kommissar vertreten sein müsse. Dies ist auch eine
Hauptforderung Österreichs bei den Regierungsverhandlungen über die
EU-Verfassung.
Eine Lösung im Streit um die von Spanien und Polen verlangte
Beibehaltung ihrer Stimmgewichtung erwartet Prodi noch nicht beim
Brüsseler Gipfel. Der Zeitpunkt für einen Vermittlungsvorschlag sei
wohl noch nicht gekommen, sagte er. Prodi zeigte wenig Sympathie für
einen Kompromissvorschlag Madrids, wonach der Verfassungsentwurf so
geändert werden sollte, dass Entscheidungen im Ministerrat künftig
von einer Mehrheit der Mitgliedstaaten beschlossen werden, die auch
zwei Drittel der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Im
ursprünglichen Entwurf hätten Staaten mit zumindest drei Fünftel der
EU-Bevölkerung zustimmen müssen. Der spanische Vorschlag würde
Beschlüsse im Ministerrat erschweren, man müsse aber zu Kompromissen
bereit sein, sagte Prodi.
(APA)