"Study after Velàzquez's Portrait of Pope Innocent X" aus dem Jahr 1953 ist eines der Exponate, die im Rahmen der Ausstellung "Francis Bacon und die Bildtradition" im Kunsthistorischen Museum Wien zu sehen sein werden.

Foto: THE ESTATE OF FRANCIS BACON/ VBK, WIEN 2003

Porträt eines Freundes: Der Maler Francis Bacon sieht 1976 das wahre Gesicht des Schriftstellers Michel Leiris

Foto: KHM

Kuratorin Barbara Steffen hat die Ausnahmefigur Bacon in ein adäquates Umfeld gesetzt.

Wien – Was wohl hatte der mit dem Papst im Sinn? Genauer: mit Innozenz X? Francis Bacon, ein historisch betrachtet früh bekennender Schwuler aus Dublin, ein Maler, der sich den ästhetischen Theorien des 20. Jahrhunderts nicht so recht fügen wollte, der es wie kein anderer verstand, Pubertät, Barock, Lebensüberdruss und Fleischestaumel, Begehren und Verwesen, Herrensauna und Kreuzigung, Ödipus und griechisch/römischen Ringkampf, gänzlich unpickelig und unverlogen, aus erster Hand, und trotzdem untadelig artifiziell verallgemeinert, ins meisterliche, stets glasbewehrte Bild zu bringen.

Vielleicht inspirierte ihn die Tatsache, dass dem mächtigsten – und somit selbst redend testosteronbestimmten – Fleisch der Welt, seinem Papa, der Käfig Papstthron schlichtweg zu eng war, ihm, dem Papa, zum Schreien zumute war, so eingezwängt in das repräsentative Gehäuse. Er, Bacon, ihn 1950 endlich befreien wollte aus den Repräsentationspflichten, zu denen Diego Velázquez ihn um 1650 für alle Tage der Ewigkeit verdammt hatte. Bacon ließ Innozenz schreien, ließ ihm den Löwen raushängen, und damit endlich das weltoberste Gemächt.

Er, Bacon, sah, dass die päpstliche Erektion schon zwei Jahrhunderte lang sich schmerzlich am Käfig Konvention rieb, dass es an der Zeit war, den mächtigsten Stab der Welt, den Käfig, sprengen zu lassen, in einem Aufschrei, in einer Eruption aufgestauter Gewalt, in einem Befreiungsschuss.

Gewalt mit Stil

Ganz so wie Giacometti Die Nase 1948 den Käfig perforieren ließ, den mächtigen Kolben ungeknickt durch das letzte Schleimhautfältchen führte, den Restkörper samt Hirn aber gefangen hielt.

Bei Bacon wird nicht wie bei Munch geschrien, aus niederen existenziellen Nöten einfach losgebrüllt, bei Bacon bleibt Gewalt in Form, diszipliniert wie in einer Haremsfantasie von Ingres (Türkisches Bad, 1859–63), normiert wie ein Stierkampf, zielstrebig wie die Idee der Tour de France. Bei Bacon schreit einer nicht en plain air, in der Waldeinsamkeit oder angesichts der gewaltigen Schöpfung seinen Frust weg.

Bei Bacon wird unmittelbar aus dem Inventar gebrüllt, aus der Meublage heraus, die der Käfig bietet, es sich bequem zu machen. Sich einzurichten für die stets folgende Folter. Für die Drangsale und das Schlimmere, dass eine Kajüte auf dem Panzerkreuzer anbietet, für die steifen Nähte einer Uniform, für das Stützkorsett einer Ideologie, für die einzahlige Wahrheit einer Religion.

Qualen, die dann eben den Körper prägen, ihn amorph wie eine Sanddüne werden lassen, ausgeweidet, in konsumfreundliche Stücke zerhackt. Und selbst dann noch, wie der Ochse Chaim Soutines oder knapp 400 Jahre früher schon jener Maerten van Cleves, aufgespannt und somit eingekastelt, einer fremden Zweckdienlichkeit unterworfen.

Und wie Velázquez den Papa hat Francis Bacon immer wieder sich selbst porträtiert, sich im Spiegel betrachtet, der meist ein semitransparenter war, einer, in dem er sich und durch den die Gesellschaft ihn betrachten konnte. Für beide ergab sich das Bild eines Deformierten, beide konnten/ wollten ihre Lust daran nicht verbergen. Beiden gleich eigen war der Schleier, der sie gerade genug abschirmte, ihr jeweiliges Gegenüber zu ertragen.

Das alles ins Bild zu bringen bediente sich Francis Bacon der Bilderwelt ringsum, sammelte, was ihm ins Auge stach: Papstporträts, Diktatorenschnappschüsse und solche tragischer Schauspieler, Albert von Schrenk Nortzings gefakte Fotos wahrer Materialisationsphänomene, anderer Maler Selbstbildnisse, ein paar Findungen der Surrealisten, Fotos tückischer Hautkrankheiten, Attentats- und Aktbilder, Degas-Pastelle,

Picassos Studien weinender Frauen aus den späten 30er- Jahren, Eadweard(sic!) Muybridges Studien innig bewegter Männerkörper.

Manipulierte Vorbilder

Bacon lagerte seine Materialien zum weiteren Gebrauch im Studio in Dublin. Über Jahrzehnte hinweg gab er dem Kunstkritiker David Sylvester Interviews zum Thema Bacon: Vorbilder, der Umgang mit ihnen, Qualität und Tradition, persönliche Interessen, eigenwillige Vorlieben, Obsessionen, Abneigungen. Man erfährt dort etwa, dass nicht der Akt des Malens selbst die Vorbilder verändert hat, sondern die Manipulation der Vorlagen, ein Falten und Zerfetzen, ein Collagieren und Zusammenheften des Rohmaterials.

Basierend auf den Gesprächen mit Sylvester hat Barbara Steffen ihre Bacon-Schau im Wiener Kunsthistorischen konzipiert. Das "Studiomaterial" sieht sie als Missinglink zwischen Bildtradition und Bacon, dem Fremdkörper im letzten Jahrhundert, der mit allem Gegenstandslosen so überhaupt nichts anzufangen wusste. Steffen stellt die Bacons ganz selbstverständlich ins Kunsthistorische, fügt Picassos ein und Rembrandts und Tizian. Und mengt all dem noch originales "Studiomaterial" unter, Memorabilia aus des Meisters archäologisch genau vermessenem und konserviertem Saustall aus Pinseln, Farbtuben und bekleckerten Impulsgebern.

Das ergibt im Kontext der hauseigenen Sammlungen ein recht anregendes, beinahe überanimiertes Eingedenken der verworrenen Wechselwirkungen, die in so einem Künstlerkopf zwischen Ate 6. Spalte lier und Pub, Kino- und Museumsbesuch, Vergangenheits-, Gegenwarts- und Alltagsbewältigung ablaufen, bis – wie im Fall Bacons – Bemerkenswertes hervorgeht.

Das ergibt bewusst keine Retrospektive, zeigt seltenes frühes Material, wie Bacons Versuche im Surrealismus, und zeigt – weit über Bacon hinaus – wie Gegenwartskunst imstande ist, eingefahrene Rezeptionsmuster zu durchbrechen, den Blick auf Vergangenes entscheidend neu zu justieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 14. 10.2003)