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Liedermacher Wolf Biermann und die Birnen, die sich als Äpfel erweisen: Beim Eindeutschen von Bob Dylan (Bild unten) muss man schließlich großzügig sein.

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...Dylan selbst wird es überleben – demnächst live in Graz und Wien.

Wien – In Eleven Outlined Epitaphs, dem von Bob Dylan schon als wildem Hund verfassten Nachruf auf sich selbst, nachzulesen auf dem Cover von The Times They Are A-Changing aus 1964: "I stumble on lost cigars of Bertolt Brecht/ an' empty bottles of Brendan Behan."

Wolf Biermann 2003 in seiner bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen deutschen Übertragung Elf Entwürfe für meinen Grabspruch braucht für vier knappe Drive-by-Angeberzeilen des damals Anfang der 60er-Jahre entsprechend unverfroren arbeitenden amerikanischen Großmeisters der Beatnik-Poesie im Folk- und später Rockbereich ein wenig länger.

In einem tief im Lyrikkurs der sozialistischen Volkshochschulen gezeugten Schwulst zieht hier ein schweres Tief auf zwischen Zeige- und Mittelfinger: "Ich stolper über Zigarrenstummel, die Brecht als Emigrant in L.A. mit proletarischer Gebärde auf Bürgersteige spuckte. Mein Fuß kickt leergesoffene Buddeln, in die, (von eigenen Worten berauscht) poetenbestialisch tief der Brendan Behan guckte."

Der Unterschied zwischen gut und gut gemeint liegt nicht nur in jenem Detail, in dem der Teufel steckt. Von wegen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Immerhin hatten selbst alte ost- und seit seiner zwangsweisen Ausbürgerung aus der DDR Ende 1976 bald gesamtdeutsche Phänomene wie der den Begriff "Liedermacher" wie kein anderer prägende Wolf Biermann immer schon daran zu würgen, dass der Mensch nicht das lineare Abbild seiner Herkunft ist. Wenn man sich ein frühes Lied des maßlos von sich selbst begeisterten Sängers Biermann ansieht, dieses mit Konzertgitarre bewaffneten WG-Beschallers aus den 70er- Jahren: "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu."

Der poetische Rest von Biermann waren und sind stets aus vollen Rohren Selbstbegeisterung ohne jegliche Dichtungsringe schießende Maßlosigkeiten über Freiheiten, die man sich selbst nimmt, wenn das Volksganze systembedingt wieder einmal laut Programm versagt. Dies konnten auch zuletzt nicht Übersetzungen von Shakespeare-Sonetten ins Deutsche verheimlichen. Mit diesen Rohren wird dann mitunter schon einmal auf Spatzen geschossen, die sich als Elefanten herausstellen. Von wegen: "Eins in die Fresse, mein Herzblatt".

Während Bob Dylan gerade 40 Jahre nach seinen Anfängen wieder einmal eine Europatournee startet und eigene Geschichte insofern bearbeitet, indem er sie wissentlich bis zur Kenntlichkeit zerstört und aus alten Liedern neue Visionen vom ewigen Scheitern schöpft, versucht Wolf Biermann, dem Phänomen Dylan durchaus platt eins zu eins laut Klischee beizukommen.

Klarsinn statt Tiefsinn

Biermann rechtfertigt mit 66 Jahren auf dem Buckel eingedenk eines Geniegedankens, der zwischen Lyrikkanon und Gedichtkanonen keinen Unterschied macht, so lange nur das Wort Größe darin Platz hat, sein ungehöriges Unterfangen in einem gut 70 Seiten umfassenden Nachwort mit der Suche nach "Tiefsinn" in der Jugend Dylans.

Er charakterisiert ihn als von reiner Poesie getriebenes Tier in der Schule von Rimbaud. Er schlägt ihn als dringlichen Anwärter auf den Literaturnobelpreis vor, um ihm dann den "Klarsinn" von Biermanns eigenem Alter entgegenzuhalten. Unser Wolf streift die Befreiungsbewegungen der Dritten Welt. Er trifft auf dem Weg Liedermacher wie immer wieder sich selbst oder Kollegen aus Korea und Lateinamerika. Wolf gibt Privatkonzerte für Charles Aznavour und Joan Baez – und er bringt die Begriffe von deutschen Liederfürsten wie Schubert ins Spiel.

Das Ganze wird dann mittels Herbeizitierens üblicher Verdächtiger wie Goethe, Rimbaud, Heine oder dem dem Tiefsinn eine klare Sinnsuppe füttern wollenden Nietzsche gekrönt. In der schwimmt Dylan bald auch als Galionsfigur einer Musik mit Protestgehalt, die er nie als solche "machen" wollte.

Biermann selbst rechtfertigt sein Unterfangen mit dem Wunsch, in fremder Lyrik immer auch sich selbst erkennen zu wollen und lobt das "Ich"-Konzept als allerhöchstes poetisches Modell. Ich ist ein anderer, weil: Mir san mir! Manche Zeiten ändern sich nie. In all den Jahren hat Biermann Dylan übrigens nur einmal live gesehen. Weil: Macht ja nichts! Musik als Botenstoff für so viel abgehobenes Geschwurbel stört nur die Dichter beim Äsen. Rülps. (DER STANDARD, Printausgabe, 14. 10.2003)