Zahlen finden Julia und Sarah (6. Klasse AHS) mittlerweile spannend, ihre Lehrerin hat sie mit "Heldinnensagen" für Mathematik begeistern können
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Wenn die 21-jährige Katharina Neusser neuen Bekannten erzählt, was sie studiert, finden das die Gesprächspartner oft kurios. "Mathematik? Toll! Das habe ich in der Schule nie verstanden", laute die Reaktion oft, sagt Neusser. Sie selbst war immer begeistert von Mathematik und merkt erst jetzt - als Nachhilfelehrerin - an welche Grenzen andere stoßen. Einer der Gründe: Vieles sei in den Lehrbüchern nicht so erklärt, dass man es auch verstehen könne.

Ein Befund, den Michael Cerny, Chef der Nachhilfeinstitute "teamplus" teilt. "Die Schulbücher sind sehr gut - wenn man sich in Mathe auskennt. Schwierig ist es, wenn man damit lernen muss. Mathematik führt bei ihm die "Hitliste" der Nachhilfefächer an - von Mädchen und Burschen gleichermaßen beansprucht. Was die Geschlechter unterscheidet? Mädchen gestehen sich Wissenslücken früher ein.

An der Uni haben sie in Mathematik wie in anderen naturwissenschaftlichen Fächern mächtig aufgeholt. Der Frauenanteil liegt mittlerweile quer durch alle Mathematikinstitute bei 43,88 Prozent. Im Lehramt Mathematik sind bereits mehr Frauen als Männer inskribiert. Auch in anderen "Männerfächern" wie technische Chemie erhöhte sich der Frauenanteil in den vergangenen sechs Jahren von 32 auf 38 Prozent.

Schock Bildungsstudie

Grund für Euphorie besteht aber noch nicht. Vor fünf Jahren löste eine OECD-Bildungsstudie zum Thema Mathematik (TIMSS) einen mittleren Schock im Schulwesen aus: Demnach schnitten heimische Volksschüler in Mathematik zwar sehr gut ab. Aber die Maturanten belegten den letzten Platz. Und: Mädchen fielen durch deutlich schwächere Leistungen auf. Nächstes Jahr wird die nächste internationale Mathematikstudie veröffentlicht. Laut Bildungsforscher Günter Haider "schmilzt" die heimische Geschlechterdifferenz in den naturwissenschaftlichen Fächern langsam, aber sicher dahin. Als Reaktion auf TIMSS hat das Bildungsressort in Klagenfurt das Pilotprojekt IMST ins Leben gerufen, um Grundlagen für ein innovativeres naturwissenschaftliches Lehren erarbeiten zu lassen. "Praktisch-anschaulichen" Unterricht im Sinne von IMST wünscht sich Haider für alle Schulen.

Im Gymnasium Rahlgasse gibt es den bereits. "Mathematik ist immer noch das Angstfach schlechthin. Außerdem ist es heute bei Erwachsenen fast ein Kavaliersdelikt, in Mathematik schlecht zu sein - während keiner stolz auf sein schlechtes Englisch ist", seufzt Mathematiklehrerin Esther Pflug. Daher versucht sie, ihren SchülerInnen Anwendungsmöglichkeiten der Mathematik aufzuzeigen - etwa beim Thema Steuerreform.

Und weil Mädchenförderung an der Rahlgasse Tradition hat, wird derzeit mit einem Projekt versucht, Schülerinnen für Mathematik zu begeistern. Sarah und Julia erzählen "Heldinnensagen" über bedeutende (aber unbekannte) Mathematikerinnen. "Mathe ist mein schwächstes Fach, aber diese Lebensgeschichten finde ich total spannend", schwärmt Sarah. Etwa über die Geschichte der Sophie Germain, 1776 in Paris geboren, die als Mann verkleidet Mathematik studierte und unter männlichem Pseudonym forschte.

Gegen solche Schwierigkeiten muss Barbara Kaltenbacher nicht mehr kämpfen. Die 34-Jährige ist Dozentin für angewandte Mathematik an der deutschen Uni Erlangen - eine der wenigen, ist doch der Frauenanteil unter den Lehrenden "verschwindend gering" (Kaltenbacher). Daher arbeitet sie an einem Mentorinnenprojekt mit, wo Topfrauen jungen Mathematikerinnen Tipps geben. Die Motivation, ist Kaltenbacher überzeugt, müsse aber viel früher beginnen: "Ich war an einer reinen Mädchenschule. Viele sagen, dass gemischte Schulen den Nachteil haben, dass sich Mädchen nicht für Naturwissenschaften zuständig fühlen und nicht in die Richtung gefördert werden."

Das kann Ewa Weinmüller nur bestätigen: "In gemischten Schulen werden Mädchen zu Humanwissenschaften gedrängt." In ihrem Heimatland Polen wurden Mädchen schon damals in technischen Bereichen gefördert - besonders in der Mädchenschule, die sie absolvierte. Heute ist Weinmüller Professorin für angewandte und numerische Mathematik an der TU Wien und beschäftigt sich mit Approximation der Lösungen von Differenzialgleichungen. In vielen Bereichen ist das Experiment zur Lösung komplexer Aufgaben nicht möglich - man versucht daher, das Problem in mathematische Gleichungen zu fassen.

Viele von Weinmüllers Studierenden sind Frauen: "Sie interessieren sich häufig für wirtschaftsrelevante Mathematikrichtungen. Mathematik in Computer- und Naturwissenschaften wird von Männern dominiert." Noch einen Unterschied hat sie ausgemacht: "Frauen dissertieren seltener, verlassen öfter als Männer nach dem Diplom die Uni. Die Uni-Karriere ist für Frauen schwierig."

Zahlen "erspielen"

Ihre These: "Für gute Lehre braucht man Zeit. An der Uni braucht man aber die meiste Zeit für die Forschung." Weinmüller wird im math.space über "Mathematik erfolgreich lehren" reden - bei der Veranstaltungsreihe "Mathematik ist weiblich". Vorgestellt werden etwa die mathematischen Heldinnensagen aus der Rahlgasse, dazu kommen etablierte Mathematikerinnen zu Wort.

math.space, ein "Raum für Mathematik", wurde vor einem Jahr im Museumsquartier geschaffen und wendet sich auch an Schulen. Ein "Renner", sagt Erfinder und Leiter Rudolf Taschner, sei derzeit das Angebot für Vorschulkinder. Titel: "Wir spielen uns durch die Mathematik." (Eva Linsinger, Martina Salomon, DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 11./12.10.2003)