Das Pagodenfeld von Bagan

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Der Mönch kommt im Baumwollpelz und mit dicker, grüner, handgerollter Zigarre zwischen den Lippen, der er einige genussvolle Wölkchen vorausschickt. Und er ist heiter - aber anders, als man das vom Dalai-Lama und diversen Chefbuddhisten zu kennen meint. Seiner Heiterkeit haftet nämlich auch ein wenig Hintertriebenheit an. "Hähähä", kichert der Mönch über die eigenen Scherze, und der Mitbewohner, mit dem er die schlichte Bambushütte teilt, fällt mit ins Gemeckere ein.

Noch anderes erinnert hier ein wenig an eine burmesische Version von Pinocchios Fuchs und dem Straßenkater: Brauner Zucker, ein Arsenal von undefinierbaren Fläschchen und eine abgegriffene Illustrierte vom Basar versüßen das kratzende Leben. Der vorschnelle Verdacht, dass diese Kutten eine Art doppelten Boden haben, bestätigt sich kurz später, beim zweiten Tässchen Kaffee.

Die Herren sind Militärs a.D. und haben ihre Söhne und Töchter längst unter die Haube gebracht. Zu weltlich war ihnen vermutlich auch der tägliche Hickhack mit der Ehefrau. "Hier oben", sagen sie und bekommen butterweiche Augen, "genießen wir unseren Ruhestand und widmen uns mehr den spirituellen Dingen". Wer's glaubt, wird selig.

Außer Frage stehen indes andere Dinge. Die Aussicht von der Hütte etwa, die herrlich auf einem Hügel knapp außerhalb des burmesischen Höhenkurortes Pyin U Lwin liegt. Ringsum glänzen Bananenstauden in Gummigrün, und die schattigen Blätterkronen der Maulbeerbäume sorgen für das Futter der lokalen Seidenraupen.

Eine überdachte Treppenflucht führt weiter hinten zu den echten Mönchen des Klosters Naung Kan Gyi Paya auf der Hügelkuppe. Doch zum Meditieren oder gar zum exzessiven Zigarrenpaffen ist jetzt keine Zeit. Schon strecken sich die Schatten wie Kaugummi, und der Kutscher drängt zum Aufbruch. Richtig gehört: Man reist per Kutsche in der Gegend von Pyin U Lwin, und damit sind keinesfalls jene dekorativen Fuhrwerke gemeint, die im übrigen Myanmar fleißig Staub aufwirbeln.

Pyin U Lwin, das wie so viele andere Orte in Myanmar alias Burma ja auch einen zweiten Namen hat und nach dem englischen Colonel May, der 1887 die ihm unterstellte 5. Bengalische Infanterie hier verschnaufen ließ, auch Maymyo (May-Town) heißt, hat nämlich weit elegantere Equipagen zu bieten. Denken Sie einfach an die TV-Serie "Westlich von Santa Fé" und schon sind Sie nahe dran.

Pony-Express lautet die korrekte Beschreibung für das lokale Transportmittel der verschlafenen Gartenstadt. Auch deswegen, weil die knarrenden, bunt lackierten, innen durchaus gemütlich gepolsterten Märchenkutschen ja wirklich von Ponys gezogen werden. Kleinere Stilbrüche gibt es natürlich trotzdem. Dass die Kutscher statt Stetson und Stiefel in der Regel Longyi-Wickelröcke und Gummilatschen tragen, muss man verschmerzen.

Doch was soll's. Immerhin befinden wir uns ziemlich weit östlich von Santa Fé. Genauer gesagt: einen Daumen breit rechts von Burmas Mitte. Der Ausflug zum herrlichen Höhenkurort Pyin U Lwin lohnt freilich nicht nur wegen der Prinzenkutschen. Eine genussvolle Verschnaufpause vom Staub und den Strapazen jeder Burma-Reise garantieren hier ja gleich mehrere Dinge: das angenehm kühle Klima etwa, das riesige Nadelbäume und Country-Gärten urenglischen Zuschnitts sprießen lässt.

Wer will, darf gleich neben dem botanischen Garten die Golfeisen schwingen - vorausgesetzt, er taucht mit untadeligem Kragenshirt auf. Gleich ums Eck verwöhnt schließlich das altehrwürdige "Candacraig Hotel" die Gäste, eine jener britischen kolonialen Oasen, die nach dem Staub der Ebenen mirakulös zwischen Pyin U Lwins pingelig gestutzten Rasenflächen und weiß lackierten Rosenlauben auftauchen.

Als die Engländer nach der Unabhängigkeitserklärung 1947 die Villenviertel der Gartenstadt verließen, führte der Koch Bernard "sein" Candacraig mit eiserner Faust weiter, überwachte die exakten Rosatöne des unerschütterlich bis heute servierten Roastbeefs, kontrollierte den Glanz der gewachsten Teakholzböden, schnipselte die Frühstückstoasts dreieckig zurecht. Selbst der mieselsüchtige Reisebuchautor Paul Theroux ließ an der Kolonialvilla ausnahmsweise ein gutes Haar, als es ihn nach Pyin U Lwin verschlug: Er fand alles wunderbar steif und also zum Kotzen herrlich.

Eine Nummer orientalischer gibt sich der Rest von Myanmar freilich schon - auch wenn sich ein Land mit über hundert Ethnien und 242 Sprachen und Dialekten und seit dem Militärputsch 1962 null Komma null echten Politparteien mit Einheitskategorien prinzipiell schwer tut. Mandalay, das auch Ausgangspunkt des Hillstation-Besuchs ist, bietet sich als zentrale Drehscheibe an - und sorgt zugleich für ein erstaunliches Exotikdefizit.

Flach ziehen sich die nummerierten Straßen im Raster dahin, und die unerwartet gigantischen Abmessungen der lokalen Fortmauern lassen auch hier über das prinzipiell abweisende Moment des Staates meditieren. Wirklich beliebt ist das von König Mindon Min im Jahre 1857 errichtete Ziegelquadrat im Norden der Stadt jedenfalls nicht, wozu auch die regierende Militärjunta das ihre beitrug.

Während der jüngsten Restaurierung der Anlage rackerten alle jungen Mandalayer einen Tag pro Monat - "freiwillig" und ohne Bezahlung, was man "community work" oder aber Zwangsarbeit nennen kann. Der Glanz der alten Tage war zu diesem Zeitpunkt allerdings längst schon dahin: Die hölzerne Konstruktion des Königspalastes war bereits den Wirren des Zweiten Weltkrieges zum Opfer gefallen. Jetzt zieht das Militär hier in kleinen Gärten sein eigenes Suppengemüse. Stolz auf ihre Stadt sind die Bewohner trotzdem. Ein besonders geschliffener Umgangston wird ihnen nachgesagt, und äußerstes Raffinement in kulinarischen Dingen. Kunst und Kultur werden großgeschrieben, und damit sind nicht nur die Jade-Schnitzer an der 86. Straße gemeint.

Mandalays letztem großen Marionettenmeister auf die flinken Finger zu sehen ist auch in TV-verrückten Zeiten ein wahrer Genuss, während scharfzüngige Regimekritiker wie die komödiantischen "Moustache Brothers" als nationale Volkshelden gelten - und bereits entsprechend lange im Staatsgefängnis saßen.

Stärker als anderswo in Burma hat aber auch Lord Buddha seinen großen Fußabdruck hinterlassen: Fast zwei Drittel aller burmesischen Mönche leben im Umraum der letzten Königsstadt, und manche dieser Klöster zählen zu den wichtigsten des Landes. Als Mandalay gegründet wurde, blickten lokale Stupas wie die Shwekyimyint Paya schon auf eine viele Jahrhunderte währende Geschichte zurück. Sogar das größte Buch der Welt kann man hier lesen: In der Kuthodaw-Pagode sind die Lehren Buddhas in 729 Marmorblöcke geschlagen worden.

Wer indessen die Kulturschätze der vorangegangenen Dynastien kennen lernen will, muss die Stadt umkreisen. Mit burmesischen Königshöfen ist es nämlich ein wenig so wie mit überspannten Ehefrauen: Neigen die einen dazu, ständig die Möbel zu verrücken, so "schoben" Burmas Regenten ganze Paläste von Ort zu Ort. Gleich vier antike Hauptstädte finden sich heute in der nächsten Umgebung von Mandalay - Amarapura, Inwa, Sagaing und Mingun.

Seit dem frühen 14. Jahrhundert zogen die Höfe dieser "Pingpong-Dynastien" gleich mehrfach zwischen den Städten hin und her. Nicht selten wurden die aufwändig geschnitzten Paläste in ihre Bestandteile zerlegt, um einige Kilometer weiter wieder neu aufgebaut zu werden.

Beispiel Mingun, heute ein kleiner Ort im Schatten monumentaler Bauten, die sich von einem Erdbeben im Jahre 1838 nie mehr erholten. Ein gigantischer, ockergelb leuchtender Ziegelhaufen erzählt neben der sandigen Landestelle am Irrawaddy-Fluss vom geplanten Bau der größten Stupa der Welt, der Mingun Paya. Auf hundertfünfzig Meter Höhe war dieser burmesische Turmbau zu Babel angelegt, und Kriegsgefangene realisierten zumindest das unterste, breiteste Drittel davon. Unmittelbar nach dem Ableben des König Bodawpaya wurde der Baustopp verhängt, und heute kicken Minguns Buben im sanften Licht der Nachmittage zwischen den umgestürzten Säulen. Ihre Schwestern vertreiben sich die Langeweile lieber mit dem Minguner Glockenspiel. Das funktioniert so: Man kriecht unter die neunzig Tonnen schwere Dorfglocke, schließt die Augen und lässt von draußen gegen die Außenwände schlagen. Dann brummt die nette, dicke Mingun-Glocke in der Sprache der alten Zeit, und ihr Vibrieren geht bis tief unter die Haut.

Die größte frei hängende, unbeschädigte Glocke der Welt ist aber nicht der einzige Superlativ der Gegend. Wer das weiter südlich gelegene, kaum weniger pittoreske Amarapura besucht, findet dort auch die längste Holzbrücke von überhaupt. 1,2 Kilometer Planken und 984 solide Teakholzpfosten summieren sich hier zu einem der schönsten Spazierwege des Landes. Mädchen mit lehmfarbenem, aus der Rinde des Zitronenbaumes gewonnenem Thanakapaste-Make-up schieben ihre klapprigen Räder vorbei.

Wechselt man von der malerischen U-Bein's-Brücke beispielsweise auf die Bordplanken einer Irrawaddy-Fähre über, so gelangt man nach neun Stunden zur Mutter aller Ruinenfelder. Bagan heißt dieser Coverstar unter Burmas archäologischen Stätten. Egal, ob man im Ballonkorb drüberfährt oder die vierzig Quadratkilometer große Fläche der Ruinenfelder im Pferdekarren oder auf dem Drahtesel durchpflügt - einzigartig sind die Streifzüge im dichtesten "Pagodenwald" Asiens in jedem Fall. Binnen zweieinhalb Jahrhunderten wurden Tausende Pagoden aus der lehmigen Irrawaddy-Ebene gestampft. Doch bereits im Jahre 1287, als Kublai Khans Mongolen dem Bauboom ein Ende bereiteten und seine Krieger über die goldenen Dächer staunten, fanden sie Bagan von seinen Bewohnern verlassen. Später rankten sich Spukgeschichten um die verwaiste Stätte, und vor kurzem ordneten die Militärs Zwangsumsiedlungen an.

Doch die zwecks kultureller Flurbereinigung vertrieben Bauern wirbeln auch jetzt noch den erwünschten mystischen Staub auf, der sich zur Primetime, dem Sonnenuntergang, und von den gerammelt vollen Terrassen der Mingalazedi Pagoda besonders hübsch macht. In klassischen Silhouetten und unterschiedlichsten Stilen schält sich das gängige Burma-Bild dann aus dem weichen, vom Staub gesättigten Licht - du entkommst ihm auch vor Ort nicht. (Der Standard/rondo/10/10/2003)