Verstoß gegen den Stabilitätspakt und Nichtbeachtung der Budgetempfehlungen des EU-Ministerrats: Die EU-Kommission stellte am Mittwoch in Brüssel Frankreichs haushaltspolitisches Fehlverhalten offiziell fest. Doch für harte Maßnahmen gegen Paris hat Währungskommissar Pedro Solbes unter den EU-Finanzministern außer Karl-Heinz Grasser kaum Verbündete.

"Keine wirksamen Maßnahmen ergriffen", so das Verdikt der EU-Kommission über Frankreichs Reaktion auf die Aufforderung zur Defizitreduzierung, die der EU-Finanzministerrat im Juni ausgesprochen hatte. Die Minister hatten damals eine Frist bis zum 3. Oktober gesetzt, bis zu deren Ablauf ihr Kollege Francis Mer Pläne zum Abbau des Defizits unter die Dreiprozentmarke des Stabilitätspakts für 2004 vorlegen musste.

Vier Prozent im heurigen Jahr

Nach dem Pariser Budgetentwurf von Mitte September ist aber klar, dass Minister Mer stattdessen für das kommende Jahr sogar ein Defizit von 3,6 Prozent des BIP einplant - und damit im dritten Jahr in Folge gegen die Vorgaben des Stabilitätspakts verstößt. Heuer beträgt der Fehlbetrag voraussichtlich sogar 4,0 Prozent.

Den Feststellungen der EU-Kommission von Mittwoch folgt voraussichtlich am 21. Oktober die nächste Stufe der Eskalation: An diesem Tag wird die Brüsseler Behörde neue Empfehlungen an Paris formulieren, am 4. November müssen die EU-Finanzminister darüber entscheiden.

Solbes in Schwierigkeiten

Es zeichnet sich jedoch bereits ab, dass Währungskommissar Solbes große Schwierigkeiten haben dürfte, Paris auf das Dreiprozentdefizit-Ziel für 2004 festzunageln und diese Forderung mit einer theoretisch möglichen milliardenschweren Bußgelddrohung zu untermauern.

Beim Ecofinrat zu Wochenbeginn in Luxemburg ließ sich nämlich die Mehrheit der EU-Finanzminister von ihrem Kollegen Mer milde stimmen, der sich nun demonstrativ im Grundsatz zum Stabilitätspakt bekannte. Im Grundsatz, denn Mer will erst 2005 dessen Defizitvorgabe wieder einhalten.

Kämpfer Grasser

Für Strenge gegen Paris kämpften zuletzt nur noch Karl-Heinz Grasser, sein niederländischer Kollege Gerrit Zalm und in geringerem Maße Finnland. Die offene Frage ist nun, ob Währungskommissar Solbes dennoch den Buchstaben des Stabilitätspakts strikt anwenden und auf den alten Forderungen des Ministerrats von Juni beharren wird - auch wenn er weiß, dass er dafür im Ecofin nicht die nötige Zweidrittelmehrheit bekommt.

Für Grasser ist dies eine Frage der Glaubwürdigkeit: Handle die Kommission nicht streng, dann sei sie "nicht mehr Hüterin des Paktes", sondern trage zu dessen "Aufweichung" bei, mahnt Grasser. (DER STANDARD Printausgabe, 9.10.2003)