Hamburg - Supraleiter werden unseren Alltag revolutionieren: Sie sparen Strom, lassen Magnetbahnen schweben und ermöglichen Medizinern und Physikern bahnbrechende neue Einblicke. Der Clou der Wundermaterialien: Sie haben bei sehr tiefen Temperaturen keinen elektrischen Widerstand und leiten Strom verlustfrei.

Auch die am Montag mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnete Kernspintomographie ist durch Supraleiter erst auf breiter Basis möglich geworden. Und nur dank seiner supraleitenden Magnete kann etwa Europas stärkstes Mikroskop, der Teilchenbeschleuniger HERA beim Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg ins Innere von Atomkernbausteinen spähen.

1911 entdeckt

Entdeckt wurde die Supraleitung schon 1911, das erstaunliche Phänomen blieb aber lange unverstanden. Für grundlegende Arbeiten zum Verständnis der Supraleitung erhalten jetzt der Russe Vitaly Ginzburg und sein Landsmann Alexei Abrikosov, der auch einen US-Pass hat, den Physiknobelpreis 2003. Sie teilen sich die Auszeichnung mit dem aus Großbritannien stammenden US-Physiker Anthony Leggett, der das verwandte Phänomen der Supraflüssigkeit für bestimmte Helium-Atome beschrieben hat. Supraflüssiges Helium verliert jede innere Reibung und kriecht beispielsweise die Wände hoch. Das Phänomen ist vor allem für die Grundlagenforschung interessant.

Bsis für Milliarden-Dollar-Industrie

Supraleiter dagegen versprechen zahlreiche Anwendungen: "Die Arbeiten insbesondere von Abrikosov sind heute Basis für eine Milliarden-Dollar-Industrie", sagt Manuel Cardona vom Max- Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart. Der Weltmarkt für Supraleiter beläuft sich nach Angaben des Göttinger Kreises, einer Interessengemeinschaft deutscher Supraleiter-Forscher, derzeit auf rund drei Milliarden Dollar im Jahr. Ein Viertel davon entfalle auf Deutschland.

Dieser Markt wird sich den Erwartungen zufolge in den nächsten 20 Jahren vervierfachen. Zusätzlich rechnet der Göttinger Kreis allein durch die Energieeinsparung dank supraleitender Materialien bis 2025 mit einem volkswirtschaftlichen Nutzen von mehreren Milliarden Euro. So versickert allein im deutschen Stromnetz durch Übertragungsverluste derzeit die Leistung von zwei großen Kernkraftwerken.

Strom für mehrere tausend Haushalte

Erste Praxistests mit supraleitenden Kabeln gibt es bereits, unter anderem in Dänemark: So fließt in Kopenhagen der Strom für mehrere tausend Haushalte - einschließlich des Flughafens - durch ein 30 Meter langes supraleitendes Kabel. "Die Arbeiten von Ginzburg und Abrikosov sind zwar sehr theoretisch, haben aber sehr praktische Auswirkungen gehabt", betont Prof. Peter Schmüser von der Universität Hamburg. Haken der Technik: Bisher müssen alle Supraleiter auf minus 135 Grad Celsius oder tiefer gekühlt werden.

Verdient, aber spät

"Der Nobelpreis ist absolut verdient, kommt aber etwas spät", urteilt Herbert Freyhardt, Gründer des Göttinger Kreises von der Universität Göttingen. Ginzburg hatte zunächst eine mathematische Methode geschaffen, mit der sich die Eigenschaften vieler Teilchen gleichzeitig beschreiben lassen, "etwa so wie die vielen Milliarden Tröpfchen, die von Meteorologen als Wolke behandelt werden", wie Nils Schopohl von der Universität Tübingen erläutert.

Abrikosov erklärte auf dieser Grundlage die Entstehung von Wirbeln, wie sie sowohl in Supraleitern als auch in Supraflüssigkeiten vorkommen. Diese Wirbel in supraflüssigem Helium können wie der Strom in einem Supraleiter theoretisch auf ewig kreiseln. (APA/dpa)