Wie aber soll man sich zum Beispiel in der Innenstadt von Chemnitz verhalten, wenn man nachts auf der Pirsch nach Eingeborenen vor dem Denkmal von Karl Marx unvermutet auf drei zipfelhaubenbemützte Teilnehmer eines bierernsten Deutschen Gartenzwerg-Kongresses trifft, die hier nach heftigem Alkoholgenuss auf das metallene Monument einer untergegangenen Zivilisation pinkeln? Das Bild mag ein klägliches sein. In der Welt, die der Berliner Russe Wladimir Kaminer bevorzugt beobachtet - nennen wir sie großzügig die unsere -, sind solche Ereignisballungen allerdings dann als ausgemachte Sensation zu werten.
Vor mehr als einem Jahrzehnt von Moskau nach Berlin emigriert, hat der auf Deutsch schreibende Kaminer nicht nur seit Beginn die Gewöhnlichkeit der ganz, ganz kleinen Dinge zu seinem Untersuchungsgebiet gemacht. Mit dem schriftstellerischen Erfolg seiner für Zeitungen, Zeitschriften und das Fernsehen verfassten Kolumnen kamen auch die ökonomischen Lockungen von Lesungen für all jene armen Menschen da draußen außerhalb der Stadtgrenzen von Mitte, die es mangels fehlenden Willens oder fehlender Talente nicht in die Metropole geschafft haben.
Auf seinen Lesereisen werden dem Erfinder der Russendisko, einer heuer dazu veröffentlichten und bis in die feindlichen USA ausstrahlenden Musik-CD und des nach Ivan Rebroff in den 70er Jahren zweiten Russenbooms in Deutschland mittlerweile überall Rosen gestreut. Zwar muss Kaminer grundsätzlich immer an Orten lesen, in denen eine Woche zuvor schon Kollege Harry Rowohlt vorgetragen hat. Während der alte Grummelbart sich aber nach einer Lesung vorzugsweise in der Hotelbar dicht macht, geht Kaminer auf Entdeckungsreise zwischen Bratwurst, ganzjährigen Christkindlmärkten, Sektmarken namens Rotkäppchen, Waldmeister-Süppchen mit Orangenfilet, Himalaja-Wochen in einem Oldenburger Hotel, der Entdeckung von Schweinekäse, dem Problem von Call-Centers und Brandenburger Ausstellungen zum Thema: "Spuren des Bibers. Lebensraum und Lebensweise des munteren Grabenbauers".
In einem einfachen, vom Satzbau her sympathisch ungelenken, in der Ausdrucksweise etwas verstaubten Deutsch, wie man es wohl gelernt hat, wenn man in der Sowjetunion Anfang der 80er Jahre die Fremdsprache seines sozialistischen Brudervolkes lernen musste oder wollte, macht sich Kaminer allerdings niemals lustig über seine Themen.