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Blair zwischen Protestrufen und Beifalls- Bekundungen beim Labor-Parteitag

Foto: APA/EPA/Gerry Penny
Tony Blair trägt ein lächerlich dürres Haarbüschel auf dem Kopf, er hat weit abstehende Ohren und bleckt die Zähne zu einem breiten Grinsen. Doch mit diesem Zerrbild war der Karikaturist noch nicht zufrieden. Er hat dem Mann auch noch einen Strick um den Hals gemalt, und an diesem Strick ziehen Strichmännchen der Labour-Partei. Blair stürzt gerade von einem Bagdader Denkmalssockel, in derselben Pose, in der im April Saddam Husseins Bronzestatute in den Staub fiel. "Tony, du bist der Nächste!", steht auf dem Plakat.

Mit solchen Karikaturen warten Demonstranten vor dem Konferenzzentrum von Bournemouth, bis endlich der britische Premier erscheint. Der ignoriert die Protestrufe, Sprechchöre wie "Blair raus!" und "Blair vor Gericht!" Drinnen im Saal herrscht Konzertatmosphäre, als der 50-Jährige auf die Bühne tritt. Aus dem Lautsprecher perlt Popmusik, auf einer Großleinwand flimmern Erfolgszahlen auf, zum Beispiel, dass Großbritannien so wenig Arbeitslose hat wie noch nie seit 1975. Blair genießt den Applaus. Dann kommt er ohne viel Federlesens zur Sache. "Okay", ruft er in die Reihen, "sollen wir aufgeben oder weitermachen?" "Weitermachen", schallt es zurück. "Genau, und das werden wir auch tun."

Er spreche auf dieser Konferenz als erster Labourpolitiker seit 100 Jahren, der schon sechseinhalb Jahre lang Regierungschef sei. Der Dienstälteste vor ihm war Clement Attlee, der Nachkriegspremier, und den hat er im Sommer überflügelt. Damit ruft Blair seiner Partei ins Gedächtnis, was sie ihm zu verdanken hat: zwei Wahlsiege in Folge, 1997 den ersten, den zweiten 2001. "So weit sind wir noch nie gekommen", sagt er. Was er nicht ausspricht, aber im Klartext meint: Bitte sehr, wer ihn wegen des Irakkriegs demontieren will, kann das gern versuchen; nur stürze er damit den erfolgreichsten Labour- Premier aller Zeiten.

Jubelatmosphäre im Kongresssaal

Jubelatmosphäre im Kongresssaal und draußen die schlechtesten Beliebtheitswerte seiner Karriere: Das ist die Zwickmühle, in der Blair im Moment steckt. Am selben Tag, an dem er eine seiner schwierigsten Parteitagsreden hält, druckt der Independent eine niederschmetternde Umfragezahlen. Fast zwei Drittel der Briten glauben, dass ihr Premierminister vor dem Irakkrieg gelogen hat, dass er die vermeintlichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins, die seit Monaten niemand finden kann, propagandistisch zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit aufbauschte.

Kritik aus Labor

In der eigenen Partei ist Gordon Brown, Schatzkanzler und Rivale zugleich, populärer als Blair. Der Lordrichter Brian Hutton wiederum, der untersucht, warum sich der Irak-Waffen-Experte David Kelly das Leben nahm, hat in den dunkelsten Ecken des Regierungsapparats gekehrt und dabei allerlei Unappetitliches entdeckt. Wenn Blair auch nicht auf Huttons Anklagebank sitzt, die Attitüde des Moralapostels nimmt ihm keiner mehr ab.

"Er müsste mal sagen: Sorry, ich hab mich geirrt." Mehr verlangt Steve Tibbett nicht von seinem Premier. Nur dieses Eingeständnis, dass es ein Fehler war, vorschnell in den Krieg zu ziehen, nach dem Zeitplan von George W. Bush, ohne das Mandat der Vereinten Nationen. "Blair hat sich verrannt, er steckt in einer Sackgasse. Er muss wieder zurückfahren auf die Straße der Uno." Tibbett ist Sprecher einer Hilfsorganisation namens "War on Want", einer Initiative, die dafür plädiert, die Rüstungsausgaben zu reduzieren und das freie Geld in Selbsthilfeprojekte in der Dritten Welt zu stecken. Er wirbt in der Ausstellungshalle der Labour-Partei und stellt sofort klar, dass Blair einmal sein großes Idol war. "Wenn er sich doch nur einmal entschuldigen würde", meint er, "der Weg in die Zukunft wäre wieder frei".

Den Gefallen aber tut Tony Blair dem Londoner Steve Tibbett nicht. "Dies ist nicht die Zeit für einen Rückzieher", ruft er. "Nach vorn oder zurück, das ist die Wahl. Was mich betrifft, so habe ich keinen Rückwärtsgang." (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 1.10.2003)