St. Pölten - Der große Saal des Festspielhauses in St. Pölten wirkt mit seiner breitstreifigen Bestuhlung, der kargen Bühne und dem kalten Licht auf den ersten Blick ja eher wie eine Sträflingskolonie. Dann die zauberhafte Verwandlung: die Choquette, sie rauscht herein, kaum zu bremsen.

Sie ist eine Mischung aus sportlicher Diva, Komikerin und ehrfurchtsloser Grenzgängerin, diese Natalie Choquette. Glücklicherweise wusste sie den Dirigenten Helmut Imig, "Maestro Imigacio", an ihrer Seite. Dieser hatte sich der schwierigen Aufgabe zu stellen, Gangart des spielwitzigen Tonkünstler-Orchesters den Allüren seines Stars anzupassen.

Für keine Verkleidung war sich Choquette zu schade: Auf dem Scooter und verpackt in ein Tutu die Arie der Julia von Gounod vorzuträllern, fand Beifall ebenso wie ihr Einstieg in die Bizetsche Habanera: Ein Herr aus der ersten Reihe konnte sich der charmanten Avancen dieser Carmen im Kostüm einer Kräuterhexe denn auch kaum erwehren.

Die Eleganz, mit der Choquette die Hüllen bei "Komm mit mir ins Chambre séparée" fallen ließ, das feministische Element bei der Königin der Nacht (mit schrecklich blinkendem Kopfputz) betonte - das war unschlagbar witzig.

Trotz allen Klamauks kommen die dreigestrichenen Koloraturen der Mozartschen Rache-Arie blitzsauber. Und die Arie der Dalila von Saint-Saëns wurde lange nicht mehr so erotisch hingehaucht. Nun, die Sterbearie der Violetta im Sportdress und per Kopfstand - stimmlich lupenrein - zu beenden, das ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Und andere Sopranistinnen müssen ohne Schummelzettel und Verstärker auskommen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 29. September 2003)