Graz - Graz hat viele Gesichter. Zwei junge Institutionen der Kulturhauptstadt - das Literaturhaus und das Jüdische Kulturzentrum - pflegen seit wenigen Monaten Teilidentitäten ihrer Stadt.

Ersteres gab der "heimlichen Literaturhauptstadt" einen würdigen Sitz, Letzteres entstand vor einem Jahr. Es ist Teil der aufblühenden Jüdischen Gemeinde, die sich seit der späten Wiedererrichtung der vor 60 Jahren von SA-Männern niedergebrannten Synagoge seit kurzem neu zu formieren beginnt.

Fast 2000 Juden lebten Anfang des 20. Jahrhunderts in Graz, doch nach dem Zweiten Weltkrieg kamen nur wenige von jenen, die im Exil überlebt hatten, zurück. Erst nachdem sich im Jahr 2000 nahe dem Augarten die gläserne Kuppel der neuen Synagoge auf den Grundfesten des alten Tempels wieder erhob, begann sich jüdisches Leben in Graz zu entfalten. Neben Kulturveranstaltungen gibt es nun auch mehrere Schulklassen, die am Religionsunterricht der Kultusgemeinde teilnehmen.


Literarische Zugänge

Es war daher nahe liegend, dass - lange bevor der Streit um die Subventionierung der Kultusgemeinde durch die Bundesregierung entflammte - sich der Leiter des jüngst eröffneten Literaturhauses, Gerhard Melzer, vornahm, die Rolle der jüdischen Kultur im heutigen Österreich mit einer literarischen Reihe auszuloten. Mit dem Jüdischen Kulturzentrum als Koveranstalter begibt man sich nun unter dem viel strapazierten Schlagwort "Identitäten" auf die Suche nach ebendiesen.

Den Auftakt bildete am Mittwoch eine Podiumsdiskussion, die so zwar auch in Wien, Linz oder Klagenfurt statt finden hätte können, denn Grazer, die über die spezielle Situation der hiesigen Kultusgemeinde erzählten, befanden sich nicht in der Runde. Stattdessen sollten Robert Schindel, Ruth Beckermann und Doron Rabinovici als jüdische (Wiener) Autoren und die literaturwissenschaftliche Weltenbummlerin, Schriftstellerin und Nichtjüdin Sabine Scholl mit Moderator Peter Huemer über "Literarische Zugänge zum jüdischen Leben in Österreich" reden. Doch die Literatur blieb weit gehend unerwähnt.

Schindel - dessen Roman Gebürtig zur Zeit der Waldheim-Affäre spielt und eine genaue und sehr poetische Bestandsaufnahme der zweiten Generation von Tätern und Opfern der Schoah ist - erzählte in Graz, wie alle anderen, vor allem von seinen persönlichen Erfahrungen.

Während sich der 1944 Geborene zu allererst als Wiener Bub fühlte, der nicht richtig dazugehören durfte, dann als Kommunist und erst später als - atheistischer - Jude, begriff sich Rabinovici, der 1964 als Dreijähriger aus Tel Aviv nach Wien kam, jahrelang als "Ableger Israels" auf der Durchreise. Doch dann überzeugte ihn die Wahl Waldheims davon, "dass hier genug zu tun war". "Wir können nicht ein ganzes Leben lang unsere Geschichte erzählen. Ich hab' wenigstens keine Lust dazu", versuchte die Autorin und Filmemacherin Ruth Beckermann, die gerade mit einer großen Werkschau in Graz vertreten ist, die Diskussion auch in die Gegenwart und Zukunft zu lenken. Allerdings erfolglos, denn die in knapp zwei Stunden von Peter Huemer durchgepeitschte Veranstaltung nahm sich für vertiefende Aspekte keine Zeit. Vier weitere Abende lassen hoffen, dass dies noch nachgeholt wird. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.9.2003)