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Foto: Archiv
Zweimal nur war etwas los im ruhigen Arbeitsleben von Llorenç Vanrell. Einmal kam ihn der spanische König besuchen, das andere Mal kam Michael Douglas. Als Juan Carlos zu Besuch war, wusste Llorenç lange im Voraus Bescheid, konnte ein paar Blumenkübel am Anlegesteg aufstellen, einen kleinen roten Teppich herbeiorganisieren, das Haus lüften und schon einmal das Licht im schummerigen Schauraum seines Minimuseums anknipsen.

Michael Douglas kam ohne Anmeldung mit der Privatyacht von Freunden, und niemand konnte sich auf seinen Besuch vorbereiten. Llorenç hatte nicht einmal Gelegenheit, vorher den Wagen auf Hochglanz zu polieren, um Eindruck zu schinden. In der Aufregung hat er sogar vergessen, nach einem Autogramm zu fragen.

Der Mann ist seit Jahren "Ranger" auf Dragonera, und sein Auto ist das einzige Fahrzeug, das auf der "Dracheninsel" vor der Südwestspitze Mallorcas zugelassen ist. Es ist dunkelblau, hat ein offizielles Wappen an der Fahrertür, eine kleine Ladefläche, drei Räder, ist ungefähr anderthalbmal so breit wie eine Schubkarre, im Schnitt genauso schnell und schraubt sich zweimal am Tag auf Kontrollfahrt den einzigen Fahrweg der Insel entlang. Von einem Leuchtturm zum anderen. Vom Anleger zum Nordostkap und wieder am Anleger vorbei zum Südwestkap. Manchmal fährt Llorenç ersatzweise mit seinem Blaulichtboot Patrouille entlang der Küste. Das macht mehr her und nebenbei auch mehr Spaß. Die gesamte Insel Dragonera misst in der Länge knapp 3,5 Kilometer, in der Breite etwa 750 Meter - jede Klippe mitgerechnet knapp 2,8 Quadratkilometer.

Sie hat die Form eines riesigen Drachen, der sich zum Schlafen ins seichte Meer gelegt hat: mit breitem Maul, furchigem Dinosaurier-Panzerrücken und eingerolltem Schwanz. Die Insel ist so etwas wie die aus dem Meer ragende Fortsetzung des mallorquinischen Tramuntana-Gebirgsrückens - nur knapp einen Kilometer von ihrer viel größeren Schwesterinsel entfernt, 20 Bootsminuten vom Fischerort St. Elm. Und tatsächlich ist die Dracheninsel bevölkert von Abertausenden Echsen - viele nicht größer als ein Zeigefinger und so wenigen Feinden ausgeliefert, dass sie sich von Llorenç mit Keksen aus der Hand füttern lassen. Gesellschaft leisten ihnen zahllose Möwen, ein paar Fischadler, zwei Ranger und die Tagesbesucher. Dragonera ist komplett unter Schutz gestellt und seit 1995 als balearischer Naturpark ausgewiesen. Vor allem im Sommerhalbjahr kommen Urlauber herübergeschippert, um einen Tag lang unter ihren Füßen zu spüren, wie sich Mallorca vor einem Jahrhundert angefühlt haben dürfte: ohne Asphalt, nur von einem geschwungenen kopfsteingepflasterten Weg und einigen sandigen Pfaden durchzogen, ohne Hotels, ohne Ferienvillen.

Es gibt keine anderen Geräusche als die der Natur, als das Rauschen des Windes in den Gräsern, das Schlagen der Wellen gegen die Felsen, das Krächzen der Möwen am Himmel. Kein Busmotor schnauft, keine Blechkarawane rumpelt voran, und Discotheken gibt es auch nicht. Es riecht nach Rosmarin, nach Aleppokiefern, nach Meer, und auf den Lippen liegt ein zarter Film aus Salz. Wüsste man nicht, dass die Küstenlinie gegenüber zu Europas populärstem Ferienziel gehört - man würde es nicht für möglich halten.

Dragonera selbst ist einer Karriere als Riesenferienanlage knapp entgangen. 1974 kaufte ein Bankenkonsortium das gesamte Eiland vom Großgrundbesitzer Juan Flexas, um die Insel in teure Parzellen zu zerlegen und mit Luxusvillen für 4000 Menschen, Hotels, einem Kasino und einem Yachthafen mit 600 Liegeplätzen zu erschließen. Die Pläne waren fertig, das Anschauungsmodell im Maßstab 1:1000 war gebastelt.

Doch Naturschützer liefen Sturm gegen das Projekt, Gegner besetzten Dragonera, zettelten einen langen Rechtsstreit an und verhinderten den Baubeginn immer wieder. Nach langem Kampf gaben die Banken auf und verkauften die Insel schließlich an die Regionalregierung, die sie in ein Schutzgebiet verwandelte.

Vor einem halben Jahrhundert noch lebten zwei Familien auf der Insel - jede in einem der beiden Leuchttürme, und einmal pro Woche trafen sie sich auf halbem Weg am Anleger, wenn das Schiff mit Vorräten, Ersatzteilen und Post aus Mallorca kam. Inzwischen sind die Leuchtfeuer automatisiert und werden mit Sonnenenergie betrieben.

Heute ist Dragonera unbesiedelt. Nur die Ranger dürfen dort übernachten. Es gibt kein Café, keine Bar, nicht einmal einen Kiosk, nur das kleine Museum, ein Toilettenhäuschen, zwei Leuchttürme und eine Garage für das Schrumpfauto von Llorenç. (Der Standard/rondo/19/9/2003)