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Peter Huemer: "GATS ist eine massive Bedrohung unseres Kulturlebens."

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Dringende Warnung vor den Folgen eines Vertragswerks, das jeden Lebensbereich weltweit dem Diktat "neoliberaler Fanatiker" zu unterwerfen droht - Kommentar der anderen von Peter Huemer

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Vor mehr als zwei Jahren riet das Wirtschaftsmagazin Fortune seinen Lesern: "Wenn Sie nach einer sicheren Aktienanlage suchen, die dauerhafte Renditen verspricht, versuchen Sie es mit der ultimativen Alternative zum Internet: Wasser."

Es geht bekanntlich nicht nur um das Wasser. Es geht um die Zerschlagung unseres Bildungs- und Gesundheitssystems, unserer Energieversorgung, es geht um Bereiche, "die noch nie zuvor als Gegenstand der Handelspolitik gesehen wurden". So hat es der Ex-WTO-Direktor Renato Ruggiero definiert. Das heißt: Bildung, Wasser, medizinische Versorgung, öffentlicher Verkehr, alles, was man kaufen und verkaufen kann, soll in Zukunft in private Hand übergehen und wie beliebige Waren gehandelt werden.

Geheimdiplomatie

Das weltweite Abkommen, von dem ich spreche, heißt GATS, das ist die Abkürzung für General Agreement on Trade in Services. Es geht dabei um die Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Verhandelt wird im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO, die treibende Kraft dahinter sind vor allem die USA und weltweit operierende Konzerne.

Es ist durchaus möglich, dass Sie bis jetzt über dieses wichtigste weltweite Abkommen wenig bis nichts gehört haben, weil die Verhandlungen geheim geführt werden und die Beteiligten daran interessiert sind, dass möglichst wenig nach außen dringt. Zu Recht, weil sie mit einem weltweiten Sturm der Entrüstung rechnen müssten. Daher hat man sich auf ein Verfahren geeinigt, das aufs Haar der Geheimdiplomatie des 18. Jahrhunderts gleicht, als Kabinette im Auftrag ihrer Feudalherren in streng geheimen Verhandlungen die Schicksale ganzer Völker entschieden haben. Das kommt jetzt wieder.

Die verheerenden Erfahrungen weltweit mit bisherigen Privatisierungen von Infrastruktur spielen dabei keine Rolle. Das englische Eisenbahnsystem ist legendär geworden, die Stromversorgung in Kalifornien ebenso. Die Liste der Fehlschläge und Katastrophen nach Privatisierungen von Infrastruktur wäre beliebig verlängerbar, wobei es sich jeweils um Katastrophen für die Allgemeinheit handelt, nicht für die Aktionäre. Darum wird ja privatisiert.

Der Bereich der Kultur ist natürlich ebenso bedroht, wenn Subventionen in Zukunft als Wettbewerbsverzerrung gelten. Das zerstört den europäischen Film und soll es ja wohl auch. Es stellt unser Theater- und Rundfunksystem infrage und erledigt die kleinen Kulturinitiativen. Aber nicht nur die. Das Brucknerhaus wird im kommenden März 30 Jahre alt und kann stolz sein auf seine Geschichte. Aber die Zukunft ist fraglich, wenn GATS gewinnt. Und das Lentos gleich nebenan, ein besonders geglückter Museumsneubau, hätte unter diesen Umständen gar nicht erst aufsperren müssen. Denn niemand kann garantieren, dass etwa Museen auf Dauer aus dem Abkommen ausgenommen werden. Kein Dienstleistungssektor soll generell von GATS verschont bleiben.

Dazu ein aktuelles kleines Beispiel aus den USA, was die Privatisierung von Kultur in der Praxis bedeutet: Ende Juli konnten wir der Frankfurter Allgemeinen und der Süddeutschen Zeitung entnehmen, dass die Stiftung der verstorbenen texanischen Ölerbin Sybil Harrington die Metropolitan Opera auf die Rückgabe von fünf Millionen Dollar klagt, weil der aus Ölgeld finanzierte "Tristan" an der Met nicht den Vorstellungen der verstorbenen Milliardärin entsprochen habe. Inszeniert hatte Dieter Dorn, der Intendant des Münchner Residenztheaters, wahrlich kein junger Wilder, wie wir wissen. Aber wie gesagt, für die Harrington-Stiftung war dieser "Tristan" nicht konventionell genug. Und wer zahlt, schafft an. Und jetzt frage ich Sie: Wollen wir solche Zustände auch bei uns?

Prophet Pasolini

Ich behaupte: GATS ist eine massive Bedrohung des europäischen Kulturlebens. Und die gegenwärtige beschämende Geldnot unserer Universitäten, Museen und Bibliotheken ist nur ein Vorgeschmack dessen, was kommt, wenn GATS einmal greift.

Für verständliche Wut über diese Bedrohung reichen unsere Informationen nicht aus. Wir ahnen, dass hier um die Zukunft der Welt gehandelt wird, aber viel mehr wissen wir nicht. Wir sind darauf angewiesen, was eine Bundesregierung, die selber extrem privatisierungswillig ist, an öffentlichem Gut und an öffentlichen Interessen zu verteidigen gewillt ist. Zumindest bei Kunst und Kultur plädiert sie für Nichtaufnahme in die Verhandlungen. Das ist immerhin etwas.

Pasolini hat diesen Kapitalismus in seinen "Freibeuterschriften" bereits vor 30 Jahren beschrieben. In seinen Essays setzt er sich mit der radikalen Kulturzerstörung durch die Konsumgesellschaft auseinander. Dies sei die "erste wahre Revolution von rechts", schreibt er. Die alten Werte Familie, Vaterland, Ordnung, Sparsamkeit, Kirche werden zerschlagen. "Nicht einmal das Falsche an ihnen ist noch zu gebrauchen." Pasolini kommt zum Schluss, "es dürfe keine andere Ideologie als die des Konsums geben".

Ende der Geschichte?

Prophetische Worte. Tatsächlich können wir heute zwischen mehr Butter- und Käsesorten als je zuvor wählen, und es gibt Geschäfte mit zwei Anzügen für 99 Euro. Und das Telefonieren ist auch billiger geworden. Aber die großen Entscheidungen, bei denen es um das Leben von Völkern und ganzen Kontinenten geht, die trifft eine winzige Minderheit. Dazu kommt noch etwas: Es ist geplanter Vertragsbestandteil von GATS, dass der Prozess der Privatisierungen nicht mehr umkehrbar sein soll - egal, welche Verheerungen er auslöst. Einen solchen Versuch, jeden Lernprozess durch ein weltumspannendes Vertragswerk auszuschließen, hat es in der Geschichte der Menschheit noch nicht gegeben. Den Menschen das Lernen verbieten zu wollen: Das wäre dann tatsächlich das "Ende der Geschichte".

Und das alles nur, weil die neoliberalen Fanatiker, die zurzeit in den meisten Ländern an der Macht sind, unbedingt ihr Weltbild verwirklichen wollen - mit dem Segen von weltweit operierenden Konzernen, die dabei prächtig verdienen, aber leider keine Steuern mehr zahlen ... (DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2003)