"Let's see." Der Filmemacher spricht ins Kameraobjektiv und wischt es sauber, bevor er zum ersten Bild ansetzt. Doch gibt es überhaupt ein erstes Bild? Wo beginnt man, wenn man von der eigenen Familie erzählt, von seinen beiden Kindern, Pablo und Andrea? Vielleicht beim Familienalbum, das Fotos aus früheren Tagen zeigt. Ein Film über die Vergangenheit, raunt nun die Stimme aus dem Off, solle das nämlich sein, und fügt hinzu: auch einer über die Gegenwart.
Conversations in Vermont (1971) ist Robert Franks erster offen autobiografischer Film. Ein erstes, in losen Szenen arrangiertes Homemovie, in dem er seine Kinder, die ihm (oder der Kamera) gegenüber merklich verschlossen sind, zum Sprechen bewegen will. Er dringt jedoch nicht richtig zu ihnen vor. Man wechselt ein paar Sätze im Freien, und was davon bleibt, ist weniger ein gutes Gespräch als ein "good take" - eine gelungene Einstellung.
Die Stelle markiert ein grundlegendes Problem im Werk dieses sonderbaren Filmemachers, das - von Kunst-, Dokumentar- und Spielfilmen bis hin zu Musikvideos - die heterogensten Formen umfasst. Denn es changiert zwischen gegenwärtigen Momenten und vergangenen Augenblicken, zwischen dem Innen und Außen - von Räumen und Objekten wie auch von Personen. Es hält sich vornehmlich in einem ephemeren Reich auf und will doch zu einer spezifischen Wahrheit gelangen.
"Aber vielleicht gibt es nichts Wahres. Abgesehen von dem, was da draußen ist. Und was draußen ist, ist immer verschieden", sagt Frank später einmal in Home Improvements (1985), in einer Szene, die an den Beginn von Conversations in Vermont angelehnt ist.
Beat-Generation
Robert Frank, 1924 in Zürich geboren, hatte sich bereits als Fotograf (The Americans) einen Namen gemacht, als er zum Film wechselte. Ende der 50er-Jahre bewegte er sich im Umfeld der Beat-Generation, und seine erste Arbeit, Pull My Daisy (1959), vage auf einem Stück Jack Kerouacs beruhend, dokumentiert diese neue Boheme und ihr Lebensgefühl. Kerouacs Stimme ist es auch, die - angeblich improvisiert - durch den Film führt. Und zufällig, aus dem Fluss der Zeit herausgerissen wirken auch die Bilder der in einer Wohnung versammelten Beatniks.
Schon hier wird deutlich, dass subjektive und objektive Bilder, Reales und Fiktives bei Frank die Tendenz haben zu kontaminieren: Me and My Brother (1968), sein erster Langfilm, wird ob dieser Verunreinigung zur selbstreflexiven Arbeit. Im Mittelpunkt steht mit dem katatonischen Julius, Bruder des Dichters Peter Orlovsky, ein Mann, der sein Inneres verbirgt. Schweigsam und passiv, stellt dieser die längste Zeit eine Grenze für die Darstellung dar. Der Film kann nur von der Bewegung um ihn herum erzählen, von Lesereisen mit Allen Ginsberg, einem Pornodreh, Alltagssituationen. Irgendwann ersetzt ihn Frank durch einen Schauspieler, was alles noch verwirrender macht. Me and My Brother, zwischen Schwarz-Weiß und Farbe, Rolle und Nichtrolle oszillierend, bleibt ein Film über die Unmöglichkeit, hinter ein Gesicht zu schauen, oder: einen Ausdruck zu deuten. Umso erstaunlicher ist es, wenn Julius zuletzt doch spricht und den Wahrheitsanspruch der Kamera vollkommen negiert.
Cocksucker Blues (1972), Franks Dokumentation der US-Tournee der Rolling Stones, ist der Komplementärfilm dazu: Er zeigt das Leben von Rockstars so, wie man sich das vorstellt - Sex im Flugzeug, Fernseher aus dem Fenster werfen, tägliche Delirien ... Aber das sind eher die Ausnahmen: Der eigentliche Fokus liegt auch hier auf Nebensächlichkeiten. Er dreht keinen Konzertfilm und kaum Material zur Legendenbildung, vielmehr zeichnet er Facetten von Ermüdung auf - ein Bild von Popkultur ohne utopistischen Gehalt. Das ist der eigentliche Skandal dieses Films, der nach einer Verfügung der Band nur einmal im Jahr gezeigt werden darf.
Privater Schmerz
Abgesehen von seinem Spielfilm Candy Mountain (1987) dominiert die kleine Form das spätere Schaffen Franks. Immer wieder kommt er in diesen sehr persönlichen Arbeiten auf seine Kinder zurück, auf seine Tochter Andrea, die mit 20 bei einem Flugzeugabsturz starb, und auf Pablo, der 1995 Selbstmord beging. Life Dances On ... (1980) ist ein Film über den Verlust - aber die Kamera beginnt herumzustreifen, erfreut sich an eigentümlichen Begegnungen mit Fremden und entwickelt dabei eine Poesie, die nie ganz greifbar wird.