Wien - "Die Leute arbeiten zum Teil bis zur Selbstausbeutung. Nur diesem Umstand ist es zu verdanken, dass nicht viel mehr und noch schlimmere Dinge passieren, als sie derzeit diskutiert werden." Dass Ruth Simsa im Gespräch mit dem STANDARD eine Lanze für das in Folge des Skandals von Lainz oft ins Pauschal-Kreuzfeuer der Kritik geratene Pflegepersonal in Heimen bricht, kommt nicht von ungefähr: Die Soziologin und Leiterin des Instituts für Non-Profit-Organisationen (NPO) an der Wiener Wirtschaftsuniversität hält eine aktuelle Studie über Motivation und Arbeitszufriedenheit in Pflegeberufen in Händen.

Das Ergebnis, fasst Simsa zusammen, bestätige "das, was sich jeder denkt - jetzt liegt es wissenschaftlich erhoben vor": Helfer und Helferinnen im Pflegebereich sind - grosso modo - motiviert, halten ihre Arbeit für sinnvoll und identifizieren sich damit. Dennoch, so das Studienergebnis, ist die Zufriedenheit mit der Arbeit und mit dem Arbeitsklima gerade bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Pflegeheimen signifikant niedriger, als es - laut Arbeitsklima-Index - in durchschnittlichen österreichischen Betrieben der Fall ist. Und die Schere zwischen Anspruch und Möglichkeiten, erhob Simsa in Interviews mit Leitern von Pflegeeinrichtungen, klafft gerade im Pflegebereich immer weiter auseinander: "Es sind die Mitarbeiter, die durch ihren Einsatz immer mehr strukturelle Probleme abfangen."

1182 Befragte

Bei der im Rahmen des Fonds zur Förderung wissenschaftlicher Forschung durchgeführten Studie für die Abteilung für Sozialpolitik der WU-Wien wurden im vergangenen Jahr 1182 Mitarbeiter in österreichischen Altenbetreuungseinrichtungen - sowohl im mobilen Dienst als auch in Pflegeheimen - befragt. Generell, so die Studienautorin, hätten sich knapp acht von zehn Befragten als zufrieden mit ihrem Job ausgesprochen. Nur 3,6 Prozent erklärten das Gegenteil. Unzufrieden waren die Befragten mit Aufstiegsmöglichkeiten und Gehalt: Ein Drittel gab an, diese Faktoren nicht als "Anreiz" zu sehen.

"Lainz", schränkt Simsa übrigens ein, "war nicht unter den untersuchten Heimen." Aber auch die anderen Institutionen, an denen gefragt wurde, dürften - zum Teil wurden sie von den sie betreibenden Bundesländern den Forschern genannt - "eher top sein, denn dort, wo der Hut brennt, stellt man sich für so etwas in der Regel nicht zur Verfügung".

Dennoch klagte ein Viertel der Befragten in den Heimen über schlechten Informationsfluss. Und knapp sieben Prozent erklärten, sie seien wenig bis gar nicht motiviert. Immerhin: 77 Prozent der Heimpfleger erklären aber, sehr motiviert ihrem Job nachzugehen. Was Simsa dabei allerdings zu denken gibt: Differenziert man nach Alter und Berufsgruppe, ergibt sich eine Motivationskurve, die bei Mitarbeitern im Verwaltungsbereich auf "hoch" steht, und bei den jüngeren Mitarbeitern - und im Pflegebereich - dann sukzessive abnimmt.

Bis zum Burnout

Unumstritten ist, dass die Arbeit im Pflegebereich als sinnvoll empfunden wird: Neun von zehn Heimpflegerinnen und Heimpflegern können sich dem anschließen. Allerdings geben 43 Prozent der Heimmitarbeiter an, bei der Arbeit unter Zeitdruck zu leiden. Knapp 40 Prozent klagen darüber, dass die Arbeit seelisch belastend und aufreibend sei. "Die Arbeit", analysiert Simsa, "wird oft als Sisyphusarbeit empfunden, Burn-out-Effekte treten oft auf."

Es sei aber, so die Studienautorin, bei der Auswertung der Fragebögen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Interviews mit den Führungskräften offenkundig geworden, dass dort, wo sich Vorgesetzte intensiv um Motivation, Supervision und Weiterbildung ihres Personals kümmern, die Frustrations- und Demotivationswerte deutlich geringer sind. Und das, obwohl Heimleiter einheitlich über Personal- und Ressourcenknappheit klagten. Exemplarisch zitiert Simsa einen der Interviewten, der angesichts des wachsenden finanziellen Drucks durch die öffentliche Hand fast resigniert bemerkte: "Es werden nach wie vor Dinge erwartet, die über Leistungsverträge finanziell nicht abgedeckt sind." Gleichzeitig werde aber gefordert, "in eine kürzere Zeit dieselbe Tätigkeit oder noch mehr" hineinzupacken.

Für die Studienautorin lässt sich das Fazit ihrer Pflegedienst-Zufriedenheitsstudie darum in einem sowohl mahnenden als auch fordernden Satz zusammenfassen: "Gute Pflege kann es nur dann geben, wenn man auch die Pfleger pfleglich behandelt." (Thomas Rottenberg; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. September 2003)