Andreas Schnider fordert eine Debatte, wie Schule heute aussehen soll

Foto: ÖVP/ Pressefoto Bettina Mayr-Siegl
VP-Landespolitiker Andreas Schnider beharrt auf tabuloser Bildungsdebatte, obwohl die Reaktion seiner Bundespartei wenig ermutigend ist. Der STANDARD warf einen Blick auf die zwei umstrittenen Modelle - Ganztags- und Gesamtschule. In der Praxis gibt es sie nämlich längst auch in Österreich.

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Wien/Graz - Das Bildungsministerium schwieg ihm gegenüber - und zwar donnernd. ÖVP-Landesgeschäftsführer Andreas Schnider hat zu seinem Tabubruch - dem Wunsch, sowohl über die Ganztags- als auch die Gesamtschule zu diskutieren - bisher noch keinen Anruf von Elisabeth Gehrer erhalten. Doch so schnell lässt der gelernte Religionspädagoge nicht locker. Er fordert eine Debatte ohne ideologische Scheuklappen darüber, wie Schule heute aussehen soll.

Und es geht ihm keineswegs nur um die Entlastung der Eltern, sondern auch um ein neues pädagogisches Konzept. Zahlreiche Lehrer und Eltern zollten ihm dafür Beifall. In der Praxis ist eine Entwicklung in diese Richtung längst im Gange: Weil in Wien die AHS-Unterstufe heimlich zur Gesamtschule geworden ist und der Hauptschule nur mehr die allerschwächsten Schüler (und ein hoher Ausländeranteil) bleiben, gibt es hier nun eine Zwischenstufe zwischen Hauptschule und AHS: Seit heuer nennen sich 130 Hauptschulen "kooperative Mittelschule". Eine davon ist die Renngasse im ersten Bezirk. Dort lief bereits seit 1999 der Schulversuch "differenzierte Kooperationsschule".

In den Hauptfächern kommen stundenweise AHS-Lehrer der Partnerschule Hegelgasse zum Unterricht. Die Kinder sollen individueller gefördert und ein Überstieg in andere Schultypen erleichtert werden. Die Hoffnung der Schulverwaltung: Jugendliche, die dem Druck einer AHS nicht gewachsen sind, sollen von ihren Eltern nicht mehr in den falschen Schultyp gepresst werden. Das verursacht "AHS-Rückfluter" in die Hauptschule. "Den Kindern geht es schlecht, man muss sie erst wieder aufbauen", weiß Direktorin Isabelle Eales, die das neue Schulmodell gut findet. Sie verteidigt auch das Wiener Hauptschulkonzept, in dem es keine Leistungsgruppen mehr gibt: "Kinder brauchen gleichaltrige Zugpferde."

Denn eine dritte Leistungsgruppe laufe Gefahr, zum Getto der Schwächsten zu werden. Viele Hauptschulen kämpfen ohnehin damit, dass jede Klasse ein "Sammelsurium an Problemen darstellt, für die die Kinder nichts können", wie es Eales beschreibt. Mitunter sind die Lehrer deshalb auch Sozialarbeiter. Sie sieht das gelassen: "Wenn ich auf dem sozialen Sektor anfangs viel investiere, dann wirkt sich das am Ende positiv auf die Leistung der Kinder aus." Personell ist ihre Schule besser ausgestattet als eine AHS: In den Hauptfächern stehen - wie Wien-weit üblich - zwei Lehrer pro Stunde zur Verfügung. Zwangstagsschule? Auch die Ganztagsschule - von der ÖVP als "Zwangstagsschule" diffamiert - ist Realität.

Zum Beispiel in 22 Wiener Volksschulen, in der "Aspern- allee" im Prater sogar schon seit 1976. Direktorin Waltraud Gruber bezeichnet sich als "glühende Vertreterin" dieser Schulform, wenn beide Eltern ganztags berufstätig sind. Unterricht und Freizeit wird nicht in starren, voneinander getrennten Blöcken, sondern verschränkt angeboten. Das ermöglicht den Lehrern auch, spontan zu reagieren, wenn einfach nichts mehr geht. Eine Durchlüftung der Gehirne zwischendurch wirkt meist Wunder. Wobei in der Aspernallee auch die Möglichkeiten dafür vorhanden sind: Sowohl Freizeiträume als auch ein toller Garten stehen zur Verfügung. Wenn die Kinder um halb vier heimgehen, sollten die Hausübungen erledigt sein. Betreuungsmöglichkeit gibt es hier bis halb sechs.

Doch für inhaltliche Bildungsdebatten hat man derzeit an vielen Schulen nur wenig Nerven: Denn bis 30. November gilt ein Vorruhestandsmodell, das Lehrern, die zwischen 1949 und 1953 geboren sind, einen Pensionsantritt mit Abzügen ermöglicht. Gerüchteweise werden dies allein an den Wiener Pflichtschulen 200 Lehrer in Anspruch nehmen. (Martina Salomon/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14.9.2003)