Wien - Bedenken führender österreichischer Krebs-Experten: Ein Teil des Zuwachses bei den Erkrankungsfällen in Folge eines Mammakarzinoms in den vergangenen Jahren dürfte auch in Österreich auf die Hormonersatztherapie in der Menopause zurückzuführen sein.

Vor wenigen Wochen war in der weltweit angesehenen britischen Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" eine Studie erschienen, die an 1,08 Millionen Frauen unter Hormontherapie einen deutlichen Anstieg der Brustkrebsrate nachwies: plus 30 Prozent bei einem reinen Östrogenersatz, eine Verdoppelung unter Östrogen-Gestagen-Behandlung und plus 45 Prozent unter dem synthetischen Hormon Tibolon. Seither steht - nach der Women's Health Initiative Study aus den USA mit einem ähnlichen Ergebnis - der "Hormon-Haussegen" in der Medizin endgültig "schief".

"Größte Verwirrung in den letzten 20 Jahren"

Der Wiener Krebsspezialist und Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie am Wiener AKH, Univ.-Prof. Dr. Christoph Zielinski pointiert: "Wir brauchen keine neue Studie in Österreich. Wir brauchen keine neue Analyse. Wer das nicht lesen kann, kann Englisch nicht lesen. Wir müssen das umsetzen. (...) Ich halte die Entwicklung bei der Hormonersatztherapie für ein ganz großes medizinisches Drama. Ich halte das für eine der größten Verirrungen in den letzten 20 Jahren." - Medizin, aber auch Gesellschaft und Medien seien daran beteiligt gewesen, dass man eben sehr leicht an die positive Wirkung der Hormone bis hin zum "Jungbrunnen" zu schnell und zu sehr glaubte.

"Weltmeister der Brusterhalter"

Der Präsident des Kongresses, der Wiener Chirurg Univ.-Prof. Dr. Michael Gnant, erläutert, dass es 1980 pro Jahr rund 3.000 neue Brustkrebserkrankungen gegeben habe. Jetzt seien es rund 5.200. Man könne davon ausgehen, dass ein Teil der zusätzlichen Erkrankungen auf den Hormonersatz zurückzuführen sei. Die Sterblichkeit der Patientinnen mit Brustkrebs in Österreich sei in den letzten fünf Jahren um 20 Prozent zurückgegangen. Bei der Rate der Brust erhaltenden Therapie sei Österreich "Weltmeister" zwischen 1988 und 1992 lag die Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von Brustkrebspatientinnen in Österreich bei 77,3 Prozent, zwischen 1993 und 1997 bereits bei 84 Prozent.

Beunruhigende Zahlen

Doch Zielinski hat mit dem Präsidenten der Österreichischen Krebshilfe auf der Basis der wissenschaftlichen Studien aus dem Ausland eine Abschätzung der Folgen in Österreich erstellt. Dabei ergeben sich folgende beunruhigende Zahlen:

  • Man kann davon ausgehen, dass 30 Prozent der Österreicherinnen im Wechsel Hormone einnehmen. Das sind wahrscheinlich rund 226.000 Frauen, die zu den Präparaten greifen.

  • Weniger als fünf Jahre Östrogen-Therapie brächte bis zum 65. Lebensjahr in dieser Gruppe 339 zusätzliche Mammakarzinom-Erkrankungen.

  • Mehr als fünf Jahre reines Östrogen wäre mit 1.130 zusätzlichen Krebsfällen in Verbindung zu bringen (bis 65).

  • Weniger als fünf Jahre Östrogen-Gestagen-Kombination (am häufigsten verwendet) würde zu 1.356 zusätzlichen Karzinomen führen.

  • Mehr als fünf Jahre Östrogen-Gestagen-Substitution hingegen wäre mit zusätzlichen 3.955 Mammakarzinomen in Verbindung zu bringen (jeweils auf die Personengruppe und das Alter bis 65 berechnet).

    Hormonersatz nur bei echtem Bedarf

    Bei rund 5.200 neuen Brustkrebserkrankungen starben in Österreich im Jahr 2001 1.581 Frauen an der heimtückischen Krankheit. In den vergangenen Jahren haben auch österreichische Wissenschafter durch international hoch angesehene Studien - zum Beispiel zur Hormontherapie des Mammakarzinoms - die Chancen der Betroffenen deutlich erhöht.

    Hormonersatz sollte laut Kongresspräsident und Brustspezialist Univ.-Prof. Dr. Christian Dadak nur mehr sehr vorsichtig eingesetzt werden: "Man sollte sie kürzer, und besser niedriger dosiert verwenden. Es gibt aber auch Frauen, die ihr ganzes 'Leben' an diesem Hormonersatz 'aufhängen'." Diese werde man schwer überreden können. Doch sollten immer die Alternativen zu einem Hormonersatz nach dem Wechsel überlegt werden.

    Es gäbe aber auch Frauen, die unter einer extrem verminderten Lebensqualität leiden. Das größte Brustkrebsrisiko würde ein erhöhter Alkoholkonsum darstellen. Hinzu käme Übergewicht. Alkohol und zu viel Körperfett treiben selbst die Östrogenspiegel hoch. Mammakarzinome seien in den meisten Fällen vom Östrogen als Wachstumsimpuls abhängig. (APA)