Die Angebotsvielfalt boomt, die Konkurrenz explodiert - und die Subventionen werden immer knapper. Die Kultur", schrieb unlängst ein Kommentator in der Pariser Zeitung Le Monde nach einem Sommer geplatzter Festivals, "hat ihren Elfenbeinturm verlassen." Im Deutschen Bundestag konstituiert sich dieser Tage eine Enquetekommission "Kultur in Deutschland", um aktuelle Umbrüche in Sachen Kultur zu studieren.

In Wien kündigen große Museen, die eben noch vor Expansions- und Erneuerungslust strotzten, die Stilllegung von Ausstellungsörtlichkeiten an (Kunsthistorisches Museum) oder sagen Ausstellungen aus Geldmangel ab (Albertina), während der Kunststaatssekretär des Bundes programmatische Umgewichtungen aus der Stadt hinaus aufs Land dekretiert (Stichwort "Oberzeiring").

Vor allem aber galt es im Frühsommer zur Kenntnis zu nehmen, dass öffentliche Kulturbudgets schrumpfen - und dies wohl erst der Anfang einer zunehmenden Finanzkrise in Sachen Kultur sein wird.

Zugleich entdeckt die Hauptstadt Wien die Kulturwirtschaft als Standortfaktor, während das städtische Kulturamt im Einklang mit vielen Künstlern darin bloß einen Ausverkauf der Künste zu erblicken vermag. Erstmals seit langem zeigt sich so ein tiefer Riss zwischen "Kulturschaffenden" (für die traditionell diverse Kulturressorts zuständig sind) und den "Kreativen" (die sich als Teil der Wirtschaft verstehen).

Und das werte Publikum? Das Publikum schwärmt zahlreicher aus denn je, doch es wird zunehmend unberechenbar. Es kommt neugierig, und wendet sich ebenso rasch wieder ab.

Es braucht wenig Fantasie, um vorherzusehen, wie in Zeiten wachsender Angebotsvielfalt und einer explodierenden Konkurrenz zwischen immer mehr Medien-, Kultur- und Unterhaltungskanälen einerseits und bei rückläufigen öffentlichen Subventionen andererseits ein beinharter Verdrängungswettbewerb zwischen Anbietern von Kultur ins Haus steht, auf den kaum jemand vorbereitet ist.

Kultur ist überall in Europa und in den anderen wohlhabenden Teilen der Welt für immer mehr Menschen wichtiger und wohl auch präsenter im Lebensalltag denn jemals zuvor, doch alle kulturellen und medialen Einrichtungen - egal ob kommerziell oder gemeinnützig - sind einem zweifachen Wandel unterworfen, der viele Einrichtungen und Vermittlungsstrukturen in ihrer Existenz gefährdet. Internet, Computer, aber auch billige digitale Produktionsmöglichkeiten haben dazu geführt, dass indischer Hiphop und kubanischer Salsa plötzlich Teil des europäischen Mainstream sind.

Das Internet und billige CD-Brenner ließen über private Tauschbörsen das Volumen an verfügbarer Musik zwar explodieren, doch drückte dies gleichzeitig die Umsätze der Musikindustrie nach unten. Verlage freuten sich auf den neuen, fünften Harry Potter Band, doch plötzlich brach um die englische Originalausgabe, da diese keiner Buchpreisbindung unterliegt, ein Preiskampf zwischen den Buchhändlern aus, der rasch deren Profite aus dem Superseller aufgefressen hat.

Für Künstler aller Sparten schuf die Unzahl von neuen Festivals, Einrichtungen und Events zwar neue Bühnen und Podien - doch plötzlich merken wir, dass viele kulturelle Leistungen einfach nicht mehr bezahlt werden. Das für Kultur verfügbare Geld geht indessen für Dienstleistungen, Mieten und immer mehr auch für in den neuen Konkurrenzen notwendiges, professionelles Marketing und PR auf, und nicht für Honorare zugunsten der Urheber. Andererseits wird ein immer größeres Stück des kulturellen Kuchens von jeweils wenigen wirklichen Stars, kurzlebigen Superstars oder Bestsellerproduktionen besetzt. Bloß, zu klagen ist kein geeignetes Mittel, auf diese massiven Verschiebungen zu reagieren. Und Appelle an einen alles wieder gut machenden Vater Staat wohl auch nicht. Die Veränderungen und der Druck auf den traditionellen Kulturbetrieb sind nicht zuletzt auch ein Echo auf veränderte Gewohnheiten des Publikums, das auf die Vermehrung der Angebote und Vermittler klassisch wählerisch reagiert.

Die alten Strukturen ...

Interessant und wohl auch ein wenig verblüffend ist etwa angesichts des Kinobooms der letzten Jahre, dass nicht nur die Betreiber von Kinoketten plötzlich in argen Schwierigkeiten stecken. Auch viele der - erfolgreichen - Produktionsstudios haben ein wirtschaftlich hartes Leben, denn der Publikumserfolg an der Kinokasse ist zwar der Schlüssel zur Positionierung eines Films. Gute und stetig wachsende Renditen garantiert zurzeit aber erst die spätere Verwertung als DVD.

Innerhalb weniger Jahre wurde das digitale Heimkino zu einem der wenigen kulturellen oder medialen Wachstumssegmente. Dies ist ein kräftiges Indiz dafür, dass zum Publikumserfolg nur taugt, worüber Besucher, Leser, Zuseher und Hörer einzeln und individuell die Kontrolle haben. Ganz Ähnliches gilt für die Überraschungserfolge so manches anfangs arg exotisch wirkenden Spezialangebots, von der Russendisko und dem Hindipop bis zu bestens besuchten Lesungsreihen oder Festivals neuer elektronischer Musik. Kultur genießen wollen viele nur noch `a la carte, wenngleich zu Preisen wie im Supermarkt.

... brechen auseinander

So liegt der Schlüssel bei der Ökonomie der Kultur. Die schleudert althergebrachte große und kleine kulturelle Einrichtungen, Künstler, und ganz besonders auch die Kulturpolitik in einen Strukturwandel, der große Herausforderungen an sie stellt. Plötzlich funktioniert vieles nicht mehr, was über Jahrzehnte gegolten hat. In Frankreich war es in diesem Festivalsommer ein Mogelsystem in der Künstlerbeschäftigung, das unter einem unüberlegten Reformversuch kollabierte. In Deutschland ist es die Pleite der Kommunen. In Österreich scheinen als erstes einerseits die Flaggschiffe der Kulturpolitik, die großen Museen, ins Schlingern zu geraten, und andererseits wird die Vielzahl der kleinen Initiativen und freien Gruppen zum gefährdeten Treibgut auf den hoch schlagenden Wellen zwischen Kulturpolitik und Publikumswandel.

Wie ernst die Dinge stehen, wird allen Beteiligten wohl erst allmählich klar. Was deshalb Not tut, sind sachliche Informationen, eine Standortbestimmung im europäischen Quervergleich (denn in Österreich gibt es immer noch sowohl vergleichsweise viel Geld wie auch, ebenso wichtig, viel öffentliche Aufmerksamkeit für Kultur), und eine streitbare, offene Diskussion. Es wäre ein Gewinn, wenn auch hier das Parlament und die Landtage Kultur als brennendes Thema aufgriffen, und wenn die öffentliche Debatte eine heftige wird.

Übrigens, dass es dabei auch um die Qualität des Standortes Wien und Österreich geht, sollte gerade auch für die Künstler kein Gegenargument sein.(DER STANDARD; Printausgabe, 4.09.2003)