Bild nicht mehr verfügbar.

Glawischnig: "Die Klischees, die Gehrer vertritt, sind für niemanden nachvollziehbar."

foto: apa/jaeger
STANDARD: Sie haben hervorragende Umfragewerte. Werden Sie die erste weibliche Bundespräsidentin?

Glawischnig: Wir haben uns noch nicht entschieden, ob wir überhaupt eine eigene Kandidatur machen und wer das sein soll.

STANDARD: Aber eine Überlegung ist es Ihnen wert?

Glawischnig: Natürlich. Wir diskutieren schon ernsthaft darüber. Ein Alternativangebot zu machen liegt schon in der Rolle einer Partei, die sich als dritte Kraft versteht.

STANDARD: Sie wären nicht nur die erste Frau in diesem Amt, Sie sind auch sehr jung.

Glawischnig: Es geht um die Beteiligung einer größeren Bevölkerungsgruppe, die in vielen politischen Entscheidungsprozessen überhaupt nicht vorkommt: die jüngere Generation und Frauen.

STANDARD: Was sollte ein Bundespräsident oder eine Präsidentin darstellen?

Glawischnig: Im Moment ist dieses Amt sehr vergangenheitsorientiert, eine Art Ersatzkaisertum. Im Grunde könnte man den öffentlichen Scheinwerfer aber auch auf ganz andere gesellschaftspolitische Fragen lenken. Das hat Thomas Klestil gar nicht gemacht. Ich will ihn nicht persönlich kritisieren, aber ich denke, es ist nicht richtig, Zukunftsthemen wie Migrationspolitik, Menschenrechte oder Ökologiefragen vollständig auszuklammern. Es ginge darum, die Aufmerksamkeit auch auf jene Zukunftsthemen zu lenken, die zu langfristig ausgerichtet sind, um in der alltagspolitischen Auseinandersetzung eine Rolle zu spielen.

STANDARD: Hat der Bundespräsident genug Rechte? Oder zu viele Rechte?

Glawischnig: Verfassungsrechtlich hat der Bundespräsident seit der Novelle 1929 mehr Rechte gegenüber dem Parlament, er kann es etwa ohne Angabe von Gründen auflösen. Im Verfassungskonvent diskutieren wir derzeit über eine meiner Meinung nach sehr gefährliche Variante, nämlich über die Zusammenlegung mit dem Bundeskanzler. Das geht in die Richtung französische Präsidenten-Kanzlerschaft, eigentlich ein autoritäres Modell. Das lehne ich ab. Wenn es um die Kompetenzen geht, muss man sich fragen, ob der Oberbefehl über das Bundesheer oder die Möglichkeit zur Auflösung des Parlaments ohne Grund noch zeitgemäß sind. Da gibt es einige Verfassungsartikel, die diskussionswürdig sind und die man meiner Meinung nach streichen kann.

STANDARD: Sind Sie Ihren staatsbürgerlichen Pflichten schon nachgekommen und haben sich fortgepflanzt?

Glawischnig: Ich habe mich noch nicht fortgepflanzt, aber ich weiß nicht, ob das eine staatsfrauliche Pflicht ist. Im Gegenteil. Was Ministerin Gehrer losgetreten hat, legt eine tiefe Wunde in der Gesellschaft bloß. Ich empfinde diese Wertediskussion der ÖVP als Feldzug gegen Frauen. Hier wird ein Druck aufgebaut und bewusst mit Klischees gearbeitet: Dass man nämlich als Frau keinen Wert hat, wenn man keine Kinder geboren hat. Alles einem ökonomischen Modell unterzuordnen, dazu der Mann als Vater und Familienoberhaupt, das passt in das Weltbild der ÖVP. Dazu kommt der absurde Vorschlag mit dem Elternwahlrecht und dieses bewusste Bedienen des Klischees von der Partyjugend. Auf der anderen Seite hat die ÖVP überhaupt kein Modell für die Zukunft. Es kann ja nicht die Antwort sein, dass der Mann als Vater das Familienoberhaupt ist und die Frau mit dem Kinderkriegen ihre Staatsfrauenpflicht erfüllt. Was ist denn mit einem partnerschaftlichen Familienmodell, bei dem Arbeit und Familie anders zwischen Frauen und Männern verteilt sind? Das hat im Übrigen auch einen Vorteil für die Väter.

STANDARD: Ist die Wertediskussion, wie sie derzeit läuft, für die Jugend nachvollziehbar?

Glawischnig: Die Klischees, die Gehrer vertritt, sind für niemanden nachvollziehbar. Auf der einen Seite die Jungen und gerade die jungen Frauen, die so gierig nach Selbstverwirklichung sind und keine Kinder mehr kriegen. Auf der anderen Seite die reichen Alten. Da muss ich auch auf das ungelöste Problem mit den Pensionen für die Altpolitiker verweisen, da gehört Gehrer auch dazu. Wenn wir schon so tief argumentieren: Gehrer soll sich das überlegen und freiwillig auf ihre Politikerpension verzichten - als Beitrag zum Generationenvertrag. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.9.2003)