dreamworks
Venedig - Bekanntermaßen ist er Festivals jahrzehntelang fern geblieben: Seine Reisen - im Vorjahr nach Cannes, nun nach Venedig -, so Woody Allen Mittwochabend im Rahmen der Eröffnung der diesjährigen Filmfestspiele, seien den europäischen Kinobesuchern gewidmet, treuen Fans seiner Arbeit - wie der Andrang bei den Vorführungen von Anything Else zeigte.

Und wenn einer wie Allen dann noch meint, falls der aktuelle Film nicht so gut ankäme, hoffe er, nächstes Jahr einen besseren vorstellen zu können, ist das weniger Koketterie als vielmehr Ausdruck der Haltung eines Filmemachers, der längst nicht mehr von Einzelleistungen abhängt, sondern gelassen seiner geregelten Arbeit nachgehen kann:

Der New Yorker Regisseur hat seiner eigenen Werkausgabe also quasi einen neuen Band hinzugefügt: Im schlichten Corporate Design gehalten, mit der üblichen Vorspanngrafik, der gewohnten musikalischen Begleitung und erzählerischen Variationen aus dem Allen-Themenpark.

Anything Else ist eine routinierte, durchaus charmante Romantic Comedy, die ein wenig an Everybody Says I Love You erinnert. Allen spielt Daniel Dobel, einen Lehrer, der sich als Autor von Sketchen für Stand-up-Comedians versucht. Die weiteren Hauptrollen sind zwei Hollywood-Jungstars vorbehalten. (Die richtige Besetzung zu finden, so Allen, sei vielleicht seine größte Leistung als Regisseur.)

Brillanter Nachwuchs

Beide können ihrer Vita nun einen entscheidenden Eintrag in Sachen darstellerischer Kredibilität hinzufügen: Christina Ricci, die als erst hypernervöse, dann erfrischend unkomplizierte Nachwuchsschauspielerin Amanda brilliert, hat dies weniger nötig. Jason Biggs, ihr Costar, derzeit mit American Pie 3 gerade anderweitig in den Kinos präsent, schon eher: Ihm gelingt als Jerry - Amandas Lebensgefährte und Dobels Kollege und Schützling - tatsächlich eine Art von überraschender Imagekorrektur.

Weil man die Lebens- und Beziehungskrisen, die Themen, Konstellationen und Befindlichkeiten, die hier verhandelt werden, bei Allen im Großen und Ganzen schon gesehen hat, passiert es beim Zusehen außerdem, dass man auf Nebensächliches gestoßen wird. So fällt etwa auf, wie akribisch Allen hier die Statisterie choreografiert: die etwas ungelenken Jogger, die im Central Park unermüdlich ihrer körperlichen Ertüchtigung nachgehen, die notorischen Hundehalter und andere Passanten, die entschlossenen Schrittes die Wege der Figuren kreuzen.

Der Stadtneurotiker selbst ist beim Räsonieren und Flanieren älter geworden. Er hat sich, so erfährt man über Dobel, angesichts allgegenwärtiger Spannungen und Bedrohungsszenarien sogar vorsorglich bewaffnet. Und wandelt sich, konfrontiert mit alltäglichen Anfeindungen präpotenter Mitbürger, überraschend physisch zum "angry old man". Ein kleiner neuer Eintrag in einem Lebenswerk. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.08.2003)