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Hans Blix und Mohamed ElBaradei (re.), sein Nachfolger als Generaldirektor der IAEA, bei ihrer Ankunft in Bagdad im Jänner 2003. Zwei Monate später begann der Krieg.

Foto: Reuters/Kheiber

Von 1991 bis 2003 stand die Diskussion über die Versuche des Irak, in den Besitz von Massenvernichtungswaffen (WMD) zu kommen, im Epizentrum der internationalen Politik. Im Epizentrum des Epizentrums stand die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA), die damit beauftragt wurde, Saddam Husseins Atomwaffenprogramm freizulegen und zu neutralisieren. Trotz aller pessimistischen Stimmen weiß man heute, dass die Kombination von internationalen Inspektionen und Wirtschaftssanktionen in den 1990er Jahren das irakische Atomprogramm auf null reduziert hat. Was machte den Erfolg der IAEA aus, warum wurde dieser Erfolg bis 2003 nicht von Washington und London anerkannt, und was sagt uns diese Geschichte für aktuellen Proliferations-Sorgenfälle, wie den iranischen?

In ihrem neuen Buch Dismantling the Iraqi Nuclear Programme: The Inspections of the International Atomic Energy Agency, 1991 – 1998 durchkämmt die österreichische Journalistin und Nahostexpertin Gudrun Harrer das interne IAEA-Archiv der täglichen Inspektionsberichte und bietet ein detailliertes Narrativ der bemerkenswerten Transformation der "Agency“ (wie sie von Insidern genannt wird) von einem schläfrigen Schoßhund zu einem aufmerksamen Wachhund. Harrers Recherche trägt zu unserem Verständnis dieses kritischen Augenblicks in der modernen internationalen Geschichte bedeutend bei.

Die USA hatten anfangs Recht, als sie skeptisch zur IAEA standen, die kurz vor dem Golfkrieg von 1991 der Welt versichert hatte, dass der Irak seine Verpflichtungen unter dem Atomwaffensperrvertrag "exemplarisch“ respektierte. Washington hätte es deshalb vorgezogen, alle WMD-Inspektionen in die Hand der UN Special Commission (UNSCOM) zu legen, einem neuen Organ, das direkt dem Sicherheitsrat verantwortlich war. Wenn sich die USA damals durchgesetzt hätten, wäre die IAEA vielleicht in einem Status permanenter Irrelevanz gelandet. Bis heute glauben viele, dass alle Inspektionen im Irak von der UNSCOM durchgeführt wurden. Aber der UN-Sicherheitsrat einigte sich auf einen Kompromiss, demgemäß die IAEA das irakische nukleare Dossier behielt, aber die UNSCOM ein "droit de regard“, ein Übersichtsrecht, über die Arbeit der IAEA bekam. So wurde die Bühne für eine heftige Auseinandersetzung zwischen den beiden Organisationen bereitet.

Mehr als ein Revierkampf

Die Rivalität zwischen UNSCOM und IAEA war jedoch viel mehr als ein bürokratischer Revierkampf. Sie war Teil einer größeren Debatte über die angemessene Rolle von internationalen Organisationen in der neuen Welt nach dem Ende des Kalten Kriegs. Die USA konzipierten die UNSCOM als eine neue Art von internationaler Organisation. Diese sollte ein bürokratisches Instrument sein, das den großen Mächten direkt verantwortlich war, im Kontrast zum traditionellen Modell, für das die politisch neutralen internationalen Beamten der IAEA typisch waren.

Um die Herausforderung der UNSCOM zu überleben, musste die IAEA beweisen, dass sie fähig war, eine proaktivere Verteidigerin der Non-Proliferationsnormen zu werden. Zu diesem Zwecke schuf IAEA-Generaldirektor Hans Blix ein spezielles Iraq Action Team, das die verschlafenen bürokratischen Tendenzen der IAEA Safeguards-Abteilung – die Abteilung, die für Atominspektionen verantwortlich ist – hinter sich ließ. Der Geist der Innovation und Ausdauer war ausschlaggebend, um die Geheimhaltung des Saddam-Regimes aufzubrechen und dessen nukleares Fehlverhalten zu exponieren. Die Arbeit im Irak war auch entscheidend für eine neue Organisationskultur und das Selbstbild der IAEA.

Die UNSCOM-Herausforderung war wesentlich für die organisatorische Transformation der IAEA. Im Jahr 1993 drohte jedoch die kontraproduktive Seite des Wettbewerbs zwischen UNSCOM und IAEA über die produktive Energie, die dieser freigesetzt hatte, die Oberhand zu gewinnen. Unter der Ägide der USA begann die UNSCOM die IAEA-Inspektoren auf sehr schwache Geheimdienstinformationen basierende Schnitzeljagden zu schicken. Noch schlimmer, wenn sie von diesen Expeditionen nichts nach Hause brachten, wurden sie beschuldigt, blind, faul oder sogar nachsichtig mit dem Saddam-Regime zu sein. Harrer entlockt dem damaligen US-Staatssekretär für Non-Proliferation, Robert Einhorn, ein bemerkenswertes Eingeständnis, dass Washington absichtlich die IAEA-Arbeit in die Länge ziehen ließ, um die harten Wirtschaftssanktionen aufrechterhalten zu können.

Das nukleare "Crash“-Programm des Irak

Das soll nicht heißen, dass es der IAEA schnell gelang, allen Dingen im Irak auf den Grund zu gehen. Erst 1995, nachdem der mächtige Saddam-Gefolgsmann Hussein Kamel nach Jordanien geflohen war, rückte das irakische Regime mit dem Großteil seiner Massenvernichtungswaffen-Aktivitäten heraus. Die beunruhigendste Enthüllung war vielleicht, dass Irak unmittelbar nach der Kuwait-Invasion ein "crash programme“ begonnen hatte, bei dem unter IAEA-Aufsicht stehende nukleare Brennstäbe dazu missbraucht hätten werden sollen, um das Material für eine einzelne Bombe zu gewinnen. Dass die IAEA versäumt hatte, diesen Schwindel zu entdecken, war eine peinliche Affäre, obwohl das Programm zu Kriegsende kaum über das Planungsstadium hinausgekommen war. Als Folge dieser Entdeckung wuchs die Überzeugung mancher Beobachter, dass die Inspektoren nutzlos waren und dass Irak noch viel größere Geheimnisse versteckte – obwohl der abgesprungene Kamel selbst bestätigte, dass die Atomaktivitäten des Irak bei Kriegsende eingestellt worden waren.

Konnte die IAEA vom Irak vor 1995 nicht die ganze Wahrheit entlocken, so traf dies auch auf die UNSCOM zu. In der Tat, die UNSCOM-Blitzrazzien auf der Suche nach biologischen und chemischen Waffen waren viel weniger erfolgreich als die geduldigen nuklearen Investigationen der IAEA. Harrers historische Recherche zeigt, dass es falsch ist, dass, wie für internationale Inspektionen behauptet, respektvolles Verhalten konkrete Resultate ausschließt. Das höfliche Auftreten der IAEA schlug zweifellos das Cowboy Bravado der UNSCOM, was Quantität und Qualität der Information betrifft, die aus den irakischen Wissenschaftlern herausgeholt werden konnte.

Die Eskalation von 1998

Die aggressive Herangehensweise der UNSCOM rief bei der irakischen Gegenseite eine entsprechende Antwort hervor, was eine negative Spirale in Gang setzte, die am Ende auch die IAEA-Arbeit gewaltig behinderte. Das Fass lief 1998 über, als UNSCOM-Chef Richard Butler unverhältnismäßig auf die irakische Weigerung reagierte, eine große Anzahl von Inspektoren im Hauptquartiersgebäude der regierenden Baath-Partei nach chemischen und biologischen Waffen zu suchen. Die verfahrene Situation zwischen UNSCOM und Irak veranlasste die USA dazu, Operation Desert Fox zu lancieren: 650 Lufteinsätze mit 400 Marschflugkörpern wurden gegen verdächtige nukleare, chemische und biologische Waffenproduktionsstätten eingesetzt. Harrer bemerkt trocken: "Niemand scheint die auf der Hand liegende Frage gestellt zu haben: Wenn diese Anlagen den US-Geheimdiensten bekannt waren, warum wurde diese Information nicht an UNSCOM und IAEA weitergeleitet, so dass diese Anlagen inspiziert und überwacht werden konnten?“

Saddam reagierte auf Operation Desert Fox, indem er die Inspektoren sowohl von UNSCOM als auch der IAEA aus dem Land ausschloss. Danach blieb der Irak vier Jahre lange ohne Inspektionen, was zur Verbreitung von "bekannten Unbekannten“ über seine WMD-Pläne führte, die die USA und Großbritannien dazu benützten, ihre umfassende Invasion im Jahr 2003 zu rechtfertigen.

Die unklaren Umstände von Operation Desert Fox – inklusive der Tatsache, dass sie am Höhepunkt der Monica-Lewinksy-Affäre stattfand – produzierten unter UN-Insidern ein weitverbreitetes Gefühl, dass der gute Name der Organisation als Mantel für eine militärische Aggression der USA benützt worden war. Als Resultat wandte sich der Großteil des Uno-Sicherheitsrates gegen die UNSCOM. Im Dezember 1999 wurden das chemische, das biologische und das Raketendossier einer neuen Organisation übergeben: der UN Monitoring, Verification and Inspection Commission (UNMOVIC). Die Kreation der UNMOVIC bedeutete den Triumph des traditionellen Typus von internationaler Organisation über die UNSCOM-Alternative. UNMOVIC war explizit am Modell des Iraq Action Teams der IAEA modelliert und wurde von keinem anderen als dem früheren IAEA-Generaldirektor Hans Blix geleitet.

Mit Misstrauen ins Desaster von 2003

Die Wiederbelebung des traditionellen internationalen Beamten führte andererseits dazu, dass die Anglo-Amerikaner noch weniger auf die beruhigenden Ergebnisse der UNO-Inspektoren hörten, die in den Wochen vor dem Krieg 2003 über die beschränkten WMD-Kapazitäten des Irak berichteten. Diese Kluft zwischen George W. Bush und Tony Blair auf der einen und Blix und IAEA-Generaldirektor Mohamed ElBaradei auf der anderen Seite führten am Ende zu einem Desaster für alle Beteiligten.

Die Geschichte der Nuklearinspektionen im Irak und der daraus resultierenden Transformation der IAEA ist nicht nur von historischem Interesse. Die heutige Debatte über den Iran hat eine frappierende Ähnlichkeit zur Irak-Debatte in den 1990ern. Viele Experten glauben, dass der Iran andauernde nukleare Aktivitäten verbirgt und Beweise für frühere unerlaubte Aktivitäten zerstört hat. Ohne dass die iranischen aktuellen und vergangenen Aktivitäten vollends aufgerollt werden, sind die Aussichten auf eine dauerhafte diplomatische Lösung gleich null. Die IAEA wird zweifellos dazu aufgerufen werden, zu prüfen und zu befinden. Wird die Agency in der Lage sein, die gleiche Mischung von Härte und Neutralität aufzubringen, die sie im Irak in den 1990ern gezeigt hat? Und wenn sie das tut, werden die USA dazu bereit sein, diesmal die Schlüsse der Inspektoren zu akzeptieren? (DER STANDARD, Langfassung, 17.5.2014)