Ralf Hütter (li.) und seine aktuelle Besetzung von Kraftwerk. Vorn die humanoide Version, dahinter als Roboter in 3-D.       

Foto: Wiener Festwochen / PETER BOETTCHER

Wien – Der britische Autor David Buckley wunderte sich. Während seiner Recherche zu seinem Buch Kraftwerk: Die unautorisierte Biografie stolperte er über eine ZDF-Fernsehshow aus 2003. Diese verkündete "Die 200 bekanntesten und wichtigsten Deutschen". Darunter befanden sich Kapazunder wie Nicole (Ein bisschen Frieden), Campino (der Geldpunk von den Toten Hosen), Herbert Grönemeyer (die tote Hose) oder Nena mit ihren 99 Luftballons. Aber niemand von Kraftwerk.

Der Rest der Welt rückt das Bild zurecht. Das Werk der Elektronikmusiker aus Düsseldorf zählt zu den wichtigsten deutschen Kulturexportgütern. Punkt. Man könnte Telefonbücher mit Namen jener Bands und Künstler füllen, die sich auf Kraftwerk berufen.

Ihren Katalog von acht Alben führt die Gruppe zurzeit bei den Wiener Festwochen auf. Es sind Messen im Zeichen der Schaltkreise und einer über die Jahre gewachsenen und immer weiter verfeinerten optischen Umsetzungen, die ein vergleichsloses Gesamtkunstwerk ergeben: ein Op-Art-Fest in sachlich-liebevoller Symbiose mit der Musik.

Seinen Katalog führt Kraftwerk in ausgesuchten Kulturtempeln auf: dem Moma in New York, der Tate Modern in London, der Oper in Sydney, in Los Angeles oder in Düsseldorf. Das Burgtheater reiht sich da nun mit ein. An vier Tagen spielen Kraftwerk pro Abend zwei Alben nach der Chronologie ihres Erscheinungsdatums. Weil das mit Spiellängen von rund 40 Minuten bescheiden ausfiele, fetten die vier Menschmaschinen diese Darbietungen mit einem Best-of-Programm auf. Dass sich dieses nach jedem Album ident wiederholt, führte schon am ersten Tag zu Unmut im Publikum, da viele mehrere oder alle Konzerte besuchen wollen.

Brumm! Brumm! Hup! Hup!

Am Donnerstag wurden Autobahn und Radio-Aktivität gegeben. Das Titellied von Autobahn verhalf Kraftwerk 1974 zum weltweiten Durchbruch. Es ist eine Ode an die Mobilität, ein Mantra, das den Glauben an die friedliche Koexistenz von Natur und Technologie vermitteln möchte oder dies zumindest suggeriert. Optimistisch brummt es auf der Autobahn, hin und wieder hustet das Getriebe, da hupt, hier überholt einer. 22 Minuten dauert das im Original, bei der Festwochenaufführung bloß acht. Früh manifestierte sich darin eines der wesentlichen Themen von Kraftwerk: Bewegung. Bis heute beschwört das alleinig verbliebene Gründungsmitglied Ralf Hütter die Gesetze der Bewegung und die sie begleitenden Veränderungen.

Das via Bindestrich mit Kernkraft und Radiowellen kokettierende Radio-Aktivität (1975) steht für Kraftwerks Glauben an den technologischen Fortschritt. Wobei das Titellied nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl die Romantik des Fortschrittsglaubens doch zart erschütterte und Kraftwerk den Text zum Statement gegen Kernkraft umschrieb.

Doch auch Katastrophen sind nur Zäsuren, die Kraftwerk gelassen zur Kenntnis nehmen und in ihren Kosmos überführen. Übersetzt wird diese Haltung in Titel wie Nummern, Metropolis oder Computerliebe. Das ergibt eine Nomenklatur der Ideale, mit der die richtige Welt leider nicht mithalten kann. Blöd für die Welt, nicht für Kraftwerk.

Sie haben ihre Vision längst in die dritte Dimension gehoben, lassen die Festwochenbesucher mit ihren 3-D-Brillen in die Häuserschluchten von Metropolis eintauchen, mit dem Trans Europa Express durch die Nacht fahren oder den Sonnenuntergang vom Space Lab aus erleben.

Hütter und seine drei Helferlein stehen dazu stoisch hinter vier Konsolen und tun – irgendwas. Die Frage, was die vier da tun, wenn sie überhaupt was machen, ist längst Teil des Kraftwerk-Mythos. Doch in Zeiten der Überinformation sind Geheimnisse wertvoller denn je. Kraftwerk schufen keine so erhabene Kunst, würde es ihr ausgerechnet an der Magie des Unbekannten mangeln. Vielleicht gilt aber auch nur ganz banal: "It’s more fun to compute." (Karl Fluch, DER STANDARD, 17./18.5.2014)