Glaubt man dem World Happiness Report der Vereinten Nationen von 2013 sind die Dänen das glücklichste Volk der Welt. Sie genießen den Ruf, aufgeschlossen und liberal zu sein, trotzdem zählen sie auch zu den Spitzenreitern eines anderen Rankings: jenes der EU-Skeptiker.

Seit 1973 ist Dänemark EU-Mitglied, die Beitrittsdebatte erfolgte ohne Idealismus. Es ging nicht mehr um das europäische Friedensprojekt, sondern nur um einen größeren Markt. Kein Wunder, dass die Linke der vehementeste Gegner war. Für Margrete Auken, Spitzenkandidatin der Sozialistischen Volkspartei (SF), war es nur ein "Klub der Reichen“. Heute kommen EU-skeptische Parteien aus allen politischen Richtungen.

Kampf um Platz eins

Der prominenteste EU-Skeptiker ist Morten Messerschmidt von der Dänischen Volkspartei (DF). Seit 2009 sitzt der Jurist im EU-Parlament, in Kopenhagen hängen viele Plakate mit dem Slogan seiner Partei: "Mehr Dänemark, weniger EU. Das ist möglich."

Morten Messerschmidt ist die dänische Stimme der EU-Skeptiker in Brüssel. 
Foto: derStandard.at

Laut jüngsten Umfragen könnte die DF erstmals vor den Sozialdemokraten landen und stimmenstärkste Partei werden. Doch selbst in der Parteizentrale will man den Zahlen nicht so richtig trauen, denn die Schwierigkeit liege darin, die eigene Wählerschaft dazu zu bewegen, überhaupt wählen zu gehen, sagt Karsten Lorentzen, der selbst für die DF kandidiert. Zehn Jahre lang war die DF Mehrheitsbeschafferin der konservativen Regierung in Dänemark und wurde vor allem dadurch bekannt, dass sie die Einwanderungsgesetze verschärfte. Heute will sie nicht mehr nur mit dem Ausländerthema assoziiert werden, sondern sieht sich vor allem als Verteidigerin des Wohlfahrtsstaats - und der gehört zum dänischen Selbstverständnis wie Smorrebrod, Carlsberg und Lego.

"Eine Sozialunion lehnen wir ab"

Aber die DF versteht sich nicht nur als Bewahrerin des Wohlfahrtsstaats, sie versteht es auch, die beiden Themen miteinander zu verbinden. "Wohlfahrtschauvinismus" nennt das die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", die Verknüpfung von nationalem Fürsorgestaat mit Einwanderungsfeindlichkeit.

Einwanderer hätten automatisch Anspruch auf die "sehr großzügigen Wohlfahrtsleistungen", kritisiert Karsten Lorentzen. "Gemessen an der Kaufkraft ist unser Arbeitslosengeld viermal mehr wert als das in Polen." Direkt gesagt: "Eine Sozialunion lehnen wir ab, das würde das Ende für unseren Wohlfahrtsstaat bedeuten."

Karsten Lorentzen von der Dänischen Volkspartei (DF) will einen dänischen Sonderweg - er spricht sich gegen eine europäische Sozialunion aus. 

Debatte um Wohlfahrtsstaat

"Der Wohlfahrtsstaat ist eine heilige Kuh, die sich niemand zu schlachten traut", sagt die Politikwissenschafterin Julie Hassing-Nielsen von der Universität Kopenhagen. Keine Partei würde ihn jemals in Frage stellen, nicht einmal liberale Parteien. Die DF habe die Debatte auf den EU-Wahlkampf übertragen.

Für sie ist die Diskussion über den Wohlfahrtsstaat im Wahlkampf gesund: Ihrer Ansicht nach ist es "nicht nur eine Angst der Dänen, sondern auch eine Herausforderung für die EU". Denn: Das Prinzip der Mobilität und freien Ansässigkeit in der EU widerspreche dem Prinzip des Wohlfahrtsstaats, wo es darum gehe, eben nicht wegzuziehen, sondern sein Leben lang Steuern zu zahlen und diese dann über Umwege wieder zurückzubekommen.  "Wenn man EU-weite Mobilität will, muss man den Wohlfahrtsstaat reformieren", sagt Hassing-Nielsen.

Peter Huber vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung kann dagegen keinen Widerspruch erkennen. Man könnte das System so organisieren, dass in einem Land erworbene Ansprüche in ein anderes Land transferiert werden. Das gelte vor allem bei beitragsfinanzierten Systemen, "mit gutem Willen" sei das aber auch für steuerfinanzierte Systeme lösbar.

Die Politikwissenschafterin Julie Hassing-Nielsen beschäftigt sich mit dem dänischen Wohlfahrtsstaat, den sich keine Partei in Frage zu stellen traut. 

Auken: "Schlechte Kampagne"

Für Margrete Auken sind die Argumente der DF nur ein Mythos. "Wenn man einen Blick auf die Statistiken wirft, gibt es keinen Grund zu glauben, dass wir den Wohlfahrtsstaat nicht aufrechterhalten können", sagt Auken. Es seien immer die gleichen Parteien, die gegen Ausländer wettern und eine irreführende, schlechte Kampagne zum Schutz des Wohlfahrtsstaats führen würden. "Das Problem ist nicht da, aber die Leute denken mit dem Bauch, nicht mit dem Kopf: zu viel Populismus, zu wenige Argumente."

Margrete Auken, von der Sozialistischen Volkspartei (SF) war große EU-Skeptikerin. Heute sieht sie sich und ihre Partei als "proeuropäisch".
Foto: derStandard.at

Auch mit dem Wunsch nach mehr nationaler Souveränität kann Auken nichts anfangen. "Das ist Unsinn, Parteien wie die DF können auch nicht erklären, was sie genau damit meinen." Lorentzen hingegen schwebt ein dänischer Sonderweg vor, Inspiration holt sich die DF von Großbritannien, wo selbst Premierminister David Cameron von einer "flexibleren EU" spricht. "Mehr Macht für die Mitgliedsstaaten", interpretiert das die DF.

Wiedereinführung von Grenzkontrollen gefordert

Eine ihrer Forderungen ist die Wiedereinführung von Grenzkontrollen, um den "osteuropäischen Diebesbanden" einen Riegel vorzuschieben, Lorentzen verspricht sich davon "mehr Sicherheit". 2011 hatte Dänemark für kurze Zeit Grenzkontrollen wieder eingeführt. Die sozialdemokratische Regierung unter Helle Thorning-Schmidt machte das als eine ihrer ersten Amtshandlungen wieder rückgängig.

Grenzkontrollen würden nicht einmal die Dänen daran hindern, weiter in Deutschland einzukaufen, wo es deutlich billiger ist. Das findet Lorentzen völlig in Ordnung, auch er selbst lasse regelmäßig sein Auto in Deutschland reparieren, weil es billiger sei. Dänemarks Mehrwertsteuer liegt bei 25 Prozent, zu viel, findet der Rechtspolitiker. Dass damit auch der von seiner Partei gepriesene Wohlfahrtsstaat finanziert wird, sieht er zwar ein, aber das sei nun auch ein Prinzip der EU, freier Warenverkehr.

Referendum auch Abstimmung über Regierung

Der dänische Weg beinhaltet bereits vier Ausnahmeregelungen – Opt-outs. Die prominenteste davon ist das Nein zum Euro. Im Jahr 2000 wurde abgestimmt, die sozialdemokratische Regierung, die seit Herbst 2011 im Amt ist, wollte eigentlich erneut ein Referendum abhalten, hat das aber auf unbestimmte Zeit verschoben.

Gibt es im dänischen Parlament keine Fünf-Sechstel-Mehrheit, wird das Volk zur Abstimmung gerufen. "An jedem Referendum wird aber auch der Erfolg der Regierung gemessen. Die Gefahr des Scheiterns ist zu groß", sagt Hassing-Nielsen.

Ministerpräsidentin Thorning-Schmidt, der österreichischen Öffentlichkeit durch ihr Selfie mit ihren Amtskollegen Barack Obama und David Cameron beim Begräbnis von Nelson Mandela bekannt, saß selbst eine Legislaturperiode lang im EU-Parlament, bevor sie 2005 den Vorsitz der sozialdemokratischen Partei übernahm. Deswegen assoziieren sie viele Dänen mit der EU. Innenpolitisch kann das bei den skeptischen Dänen durchaus ein Nachteil sein, so Hassing-Nielsen. 

Am Sonntag wird abgestimmt: Nicht nur über das EU-Parlament, sondern auch über die Ratifizierung des Europäischen Patentgerichtshofs. 
Foto: derStandard.at

Am 25. Mai wählt Dänemark aber nicht nur die neue Vertretung für das EU-Parlament, es wird auch ein Referendum über den Europäischen Patentgerichtshof abgehalten, der ein EU-weit einheitliches Patentrecht vorsieht. Ein komplexes Thema, da sind sich die meisten einig. Viele wissen gar nicht, worüber hier tatsächlich abgestimmt wird. Auch das ist eine Wahl, die aus dem Bauch heraus entschieden wird, für die Regierung oder gegen Ministerpräsidentin Thorning-Schmidt. (Marie-Theres Egyed aus Kopenhagen, derStandard.at, 21.5.2014)