Ob Sie sich als Arbeitnehmer in Gehaltsverhandlungen trauen, Ihre Forderungen offensiv zu stellen oder nicht, hängt zuerst von Ihrer inneren Haltung und Ihrer Einstellung zu sich selbst ab: bei einem gering ausgeprägten Selbstwertgefühl fällt es naturgemäß schwer, die eigenen Leistungen entsprechend wirksam zu würdigen und dafür die adäquate Entlohnung oder eine Gehaltserhöhung mit Nachdruck zu verlangen.

Gehaltsgespräche sind eine hohe Kunst und erfordern viel sachliche Vorbereitung, persönliche Reflexion und strategisches Geschick – sind also kein Thema, das Sie nebenbei, zwischen Tür und Angel, mal so zum Ausprobieren, bei Ihrem Chef ansprechen!

Überlegen Sie vorab ganz genau, wie Sie zum Ziel kommen wollen, recherchieren Sie und nehmen Sie sich Zeit für die Vorbereitung:

  1. Vermeiden Sie die „Darling“-Falle: sie sollen keinen Beliebtheitspreis gewinnen und sich nicht schon im Vorhinein durch übertriebene Freundlichkeit unterschwellig für Ihr Anliegen entschuldigen. Gehen Sie sachlich und mit innerer Distanz, also ohne Harmoniestreben, in eine Gehaltsverhandlung. Fragen Sie nicht zaghaft, ob man vielleicht über das Finanzielle reden könnte, sondern vereinbaren Sie selbstbewusst mit Ihrem Chef einen Termin mit dem Thema „Gehaltsgespräch“.
  2. Sie als Person stehen nicht zur Diskussion! Es geht um den aktuellen, subjektiven Wert, den Ihr Vorgesetzter Ihrer Mitarbeit oder der Markt Ihren Fähigkeiten und Erfahrungen zugesteht. Sie wollen Ihre Arbeitskraft zu einem bestmöglichen Preis verkaufen – nicht mehr und nicht weniger.
  3. Was wollen Sie wirklich? Geht es Ihnen um Ihre materiellen Bedürfnisse oder wollen sie mehr Anerkennung von Ihrem Chef? Wollen Sie mehr Macht oder eine interessantere Aufgabe? Strukturieren Sie Ihre Wünsche vorab sehr genau und sagen Sie, was Sie wirklich wollen.
  4. Schaffen Sie objektive Bezugspunkte für Ihre Gehaltsdiskussion: recherchieren Sie im Vorfeld alles gründlich, was Sie über Ihren Marktwert, das Entlohnungsniveau im Unternehmen und mögliche Zusatzleistungen, die ein Arbeitgeber bietet (Weiterbildungen, Zuschüsse zu Essen, Fahrgeld, Altersvorsorge usw.), in Erfahrung bringen können. Holen Sie allenfalls ein Gehaltsgutachten von Experten ein. Ohne gute Vorbereitung werden Ihnen sehr bald die Argumente ausgehen.
  5. Wer das Ziel nicht kennt, wird den Weg nicht finden. Wenn Sie mehr Geld wollen, formulieren Sie für sich selbst zunächst einen Zielkorridor mit Ihrer Minimal- und Maximalvariante. Überlegen Sie ihre Argumentation für die Maximalvariante sehr gut und gehen Sie mit einem klar begründeten, rationalen und erfüllbaren Vorschlag in das Gespräch.
  6. Bedenken Sie, dass Sie – analog zu einem Verkaufsgespräch – Ihren persönlichen Nutzen für das Unternehmen argumentieren müssen. Wenn Kollegen mehr verdienen als Sie, wird Ihr Chef das kaum als Argument gelten lassen oder in Verteidigungshaltung geraten. Es geht um SIE, um Ihren individuellen Beitrag zum Erfolg. Auch die Tatsache, dass Sie gerade eine Wohnung gekauft haben oder Familienzuwachs erwarten, hat im Gehaltsgespräch keine Berechtigung.
  7. Reden Sie Klartext! Nennen Sie zuerst die sachlichen Argumente, die Ihre Gehaltsforderung untermauern (Erfolge, erledigte Projekte, Leistungen) und stellen Sie erst dann Ihre zahlenmäßige Forderung, die etwas über Ihrer vorab identifizierten Maximalvariante liegt. Die zuerst genannte Zahl, der sogenannte Ankerwert, bestimmt erfahrungsgemäß den weiteren Verlauf der Verhandlung.
  8. Definieren Sie für sich selbst vorab, was ein gutes Alternativergebnis zu Ihrem Hauptziel wäre und überlegen Sie sich viele Optionen, eventuell auch gemeinsam mit dem Vorgesetzten oder Personalverantwortlichen während des Gespräches.
  9. Zeigen Sie sich standfest in Ihrem Anliegen, aber agieren Sie mit der nötigen Kompromissbereitschaft, wenn Ihnen Ihr Gegenüber mit positiven, ernsthaften Vorschlägen begegnet.
  10. Verwechseln Sie die Ablehnung Ihrer Forderung nach einem höheren Gehalt nicht mit "Liebesentzug“. Vermeiden Sie es, zu drohen, zu jammern oder beleidigt zu reagieren. Legen Sie konkrete Schritte fest, was Sie bis zum nächsten Gespräch konkret erreichen sollen, dokumentieren Sie das und vereinbaren Sie dann einen neuen Termin. Steter Tropfen höhlt den Stein. (derStandard.at, 16.5.2014)