Das neue Museum von außen.

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Allan Tannenbaum hat gemischte Gefühle.

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Präsident Obama eröffnet das neue 9/11 Museum.

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"Langsam wird's was", sagt Allan Tannenbaum, allmählich lasse sich ein Ende absehen. "Aber ich muss zugeben, ich habe gemischte Gefühle." Tannenbaum steht auf dem Dach eines Wolkenkratzers, 57 Stockwerke über der Erde, und blickt auf die berühmteste, teuerste, umstrittenste Baustelle der Welt.

Zum Hudson River hin glänzt der silbrige Riese, der einmal als Freedom Tower konzipiert war, nun aber prosaischer World Trade Center Nummer eins heißt. Davor die beiden Brunnenquader, durch deren Granittrichter unentwegt Wasser in die Tiefe rauscht. Und zwischen den Gedenkbrunnen der Glaswürfel eines Museums. Von hier oben wirkt er wie ein Legobaustein, ein Klotz, den die Hand eines Riesen mutwillig verkantet in die Erde gedrückt hat.

Tannenbaum, kann man sagen, ist baustellenmüde. Er wohnt sechs Straßen weiter nördlich im Trendviertel Tribeca, das vor 40 Jahren, als er dort zu mieten begann, noch alles andere als trendig war. Das Trauma des 11. September 2001 hat sich eingebrannt in sein Gedächtnis, jedes Detail. Der Krach, als die erste entführte Maschine über Tribeca hinweg aufs World Trade Center zuhielt. Die Explosion. Das Rätselraten.

Dröhnende Presslufthämmer

Tannenbaum schnappte sich seine Kamera, er ist Fotoreporter, und rannte zu den Zwillingstürmen. Als das zweite Flugzeug in den zweiten Turm krachte, glaubte er für einen Augenblick, der Feuerball komme direkt auf ihn zu. Erschrocken trat Tannenbaum den Rückzug an; er erinnert sich an das Geräusch berstenden Metalls, als das erste Gebäude einstürzte. Eine dunkle Geröllwolke hüllte ihn ein. Es folgte totale Stille. Und später das endlose Hin und Her um den Wiederaufbau.

Tannenbaum wäre es lieber gewesen, hätte man die alten Twin Towers neu hochgezogen: "Schön waren sie nicht, aber großartig!" Inzwischen hat er sich abgefunden mit dem Ersatz. Hauptsache, es geht voran. Er hofft, dass auch die drei restlichen Türme des World-Trade-Center-Ensembles irgendwann stehen; oder eben nur zwei, falls Larry Silverstein, der Bauherr des Geländes, nicht genügend interessierte Büromieter findet.

Immerhin gibt es jetzt das Museum. Sobald es eingeweiht ist, verschwinden ringsum ein paar hässliche Zäune. Für Tannenbaum (69) symbolisiert es die Hoffnung, dass er vielleicht doch noch ein paar Jahre ohne dröhnende Presslufthämmer erlebt.

Bilder der Terroristen in Museum

Viel früher, meint der Filmemacher Richard Hankin, hätte man das 9/11-Museum gar nicht eröffnen können: Die Wunden wären zu frisch gewesen. Manches wird erstmals vor Publikum gezeigt, etwa unter Verschluss gehaltene Bilder verzweifelter Menschen, die von den brennenden Hochhäusern springen. Ein Löschfahrzeug wirkt auf aufwühlende Weise bizarr. Hinten sorgfältig gefaltete Schläuche, blankpoliertes Blech, alles mustergültig gepflegt, und vorn eine zerquetschte, ausgebrannte Fahrerkabine. Oder die gekreuzten Stahlpfeiler, die aussehen wie ein Kruzifix: Arbeiter, die den Schutt am Ground Zero wegräumten, haben dort täglich gebetet. Ein Regal mit Jeans, geborgen aus einem Laden in der Nähe, ist noch mit Asche bedeckt. Die zerbröckelten Stufen einer Treppe, über die Tausende die Flucht ins Freie antraten, lassen an Abrissarbeiten denken, nicht unbedingt an ein Inferno.

Dann die heftigsten Kontroversen. Auch die 19 Hijacker sind auf Fotos zu sehen, was manche New Yorker lautstark protestieren ließ – nach der Maxime, dass für Terroristen kein Platz in einer Gedenkstätte sei. "In einem Museum über den Holocaust verschweigen Sie ja auch nicht, dass es die Nazis waren, die das Verbrechen begingen", entgegnet Joe Daniels, der Direktor der Stiftung, die das Museum verwaltet. Ein Sieben-Minuten-Streifen ("Der Aufstieg Al-Kaidas") beleuchtet die Geschichte des Netzwerks. Es gibt Kritiker, die sehen darin den unangemessenen Versuch, die Motive der Täter zu verstehen.

40 Prozent der Toten nicht identifiziert

Schließlich der Streit um die Leichenteile. Rund 14.000 Fragmente, zumeist Knochensplitter und Hautfetzen, konnten noch nicht zugeordnet werden. Und 40 Prozent der fast dreitausend Toten sind nicht identifiziert. 17 Hinterbliebenen-Familien klagten – erfolglos – gegen die Stadt New York, weil sie es entwürdigend fanden, sterbliche Überreste in einem Museum zu deponieren, noch dazu sieben Etagen unter der Erde. "Ich weiß nicht, wie viel von ihm dort unten liegt", sagt Sally Regenhard, deren Sohn Christian, ein Feuerwehrmann, beim Rettungseinsatz ums Leben kam. "Selbst wenn es nur ein winziges Knochenstück wäre, ich verlange Respekt. Ich will nicht, dass es Teil einer Ausstellung wird." Zwar ist die Grabkammer durch eine Wand vom Rest des Gebäudes getrennt, nur den Angehörigen und Gerichtsmedizinern zugänglich. An der Heftigkeit des Disputs ändert es nichts – was Richard Hankin wiederum nicht überrascht.

"Es gibt nichts am Ground Zero, worüber nicht heftig gestritten würde", lautet seine zentrale Erkenntnis. Hankin hat all die Debatten über mehr als zwölf Jahre verfolgt und einen Dokumentarfilm darüber gedreht: "16 Acres", betitelt nach der Baugrubenfläche. Er klingt sehr ernüchtert, sehr abgeklärt, zum Beispiel wenn man ihn nach dem Skyscraper fragt, der nicht mehr Freedom Tower heißt und nur noch entfernte Ähnlichkeit mit dem Ursprungsentwurf des Architekten Daniel Libeskind aufweist. "Der Turm sieht scheußlich aus, so wie jeder Turm hier scheußlich aussehen wird. Eine Promenadenmischung", sagt Hankin und spricht vom Produkt fauler Kompromisse zwischen Bauherren und Behörden, Investoren und Anrainern und so weiter; zwischen Interessen, die man kaum unter einen Hut bringen könne.

"Ein Kuddelmuddel"

"Wir haben nun einmal diesen fundamentalen Konflikt", sagt Hankin. "Was soll das World Trade Center sein? Eine Grabstätte, heiliger Grund? Oder die Business-Drehscheibe der Business-Metropole der Welt?" Steht das stille Gedenken im Vordergrund? Oder der Beweis amerikanischer Stärke, kapitalistischer Kraft? Trauer oder Trotz? Am Ende, meint Hankin, hätten sich die New Yorker dafür entschieden, beides zu wollen, beides zu verknüpfen, so schwierig das mitunter auch sei. "Natürlich ist es ein Kuddelmuddel. Aber wissen Sie, was? Genau das passt eben auch zu dieser Stadt." (Frank Herrmann, derStandard.at, 15.5.2014)