Graz - Nun ist auch die für die Baubehörde zuständige Grazer KPÖ-Stadträtin Elke Kahr höchst skeptisch: Nachdem in ihrem Ressort die Archive durchgeforstet worden sind, ist für Kahr klar: Es fehlen wesentliche Bauakten jenes städtischen Kindergartens, auf dessen Areal womöglich weitere dutzende Opfer aus dem NS-Lager Liebenau verscharrt liegen könnten. Das müsse aufgeklärt werden.

"Bis heute fehlt eine umfassende Aufarbeitung der Geschehnisse im Zwangsarbeitslager Liebenau. Für Graz als "Stadt der Menschenrechte" ist die Tabuisierung von NS-Verbrechen, die in der Stadt stattgefunden haben, ein unwürdiger Zustand, der nach langen Jahren des Schweigens endlich überwunden werden muss", merkt Kahr in einer schriftlichen Anfrage an Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) an. Sie verlangt - wie auch SPÖ-Vizebürgermeisterin Martina Schröck - eine genaue Untersuchung des Areals, nachdem der Grazer Arzt Rainer Possert kürzlich neues Dokumentationsmaterial vorgelegt hatte. Dieses ist in der bisher einzigen vorliegenden historischen Aufarbeitung des Lagers aus dem Jahr 2013 noch nicht enthalten.

Ohne Keller weitergebaut

1992 wurden auf dem ehemaligen Gelände des NS-Lagers Liebenau, in dem tausende ungarische Juden auf ihrem Todesmarsch nach Mauthausen kurzfristig inhaftiert waren, bei Grabungsarbeiten für den Keller des Kindergartens Skelette gefunden. "Wir hatten gar nichts davon erfahren", sagt heute der damalige Architekt Michael Kocher. Nach einem kurzen Baustopp sei alles zubetoniert und der Kindergarten ohne Keller weitergebaut worden.

Schon 1947 wurden im Vorfeld des Prozesses gegen zwei Lageroffiziere 53 Leichen exhumiert. Das Gericht und lokale Medien berichteten damals von wahrscheinlich wesentlich mehr Opfern, die in dem heutigen Wohngebiet vergraben liegen könnten. (Walter Müller, DER STANDARD, 15.5.2014)