Die Europäische Union als Idee und als Erscheinung des Alltags steht unter Stress. Die Eurokrise ist knapp geschafft. Da ging es darum, ob die wirtschaftliche Konstruktion der EU überlebensfähig ist (vorsichtiges Ja). Die Ukraine-Krise ist in vollem Gang. Da geht es darum, ob die EU außenpolitisch in der Lage ist, mit einer völlig neuen Situation fertig zu werden: Putins Russland ist kein Partner, sondern ein rücksichtsloser, bewusster Störenfried.

Das größte Problem ist aber, dass die innere Akzeptanz der EU in den Mitgliedsstaaten bröckelt. Sehr viele Bürger (in Westeuropa) haben den Wert der EU nie begriffen, vergessen oder wollen einfach ihren Frust loswerden, obwohl sie die EU nicht prinzipiell ablehnen.

Für diesen Unwillen der EU gegenüber gibt es tausend Gründe, manche einsichtig, die meisten überhaupt nicht. Ein sehr wichtiger Grund ist allerdings, dass es - vor allem in Österreich - den Politikern und auch den Medien weniger und weniger gelingt, die EU halbwegs plausibel zu verkaufen.

Was jetzt im Wahlkampf von den EU-freundlichen Parteien geboten wird, ist schlicht langweilig oder irrelevant. Das ist nichts, was man den, sozusagen natürlichen, Feinden der EU, den Populisten (hierzulande praktisch nur Rechtspopulisten), entgegensetzen könnte. All jenen Rechtspopulisten, Nationalisten und Rechtsextremen in ganz Europa, für die die Prinzipien der EU - Zusammenarbeit, Offenheit, Kompromiss statt Konfrontation - wider ihre Natur sind.

Es wird Zeit, sich wieder auf die grundlegenden Säulen des vereinten Europa zu besinnen. Die EU ist zunächst eine große Freihandelszone mit Regeln des wirtschaftlichen Lebens, die immer mehr vereinheitlicht werden. Das ist gut für uns. Die Schweiz und Norwegen, zwei Staaten, denen es auch ohne EU gutgeht, sind kein Gegenbeispiel. Norwegen lebt vom Öl, und die Schweiz macht still sehr viel von der Politik der EU mit.

Die EU ist trotz aller mühsamen Streitereien, nationalen Egoismen und langsamen Entscheidungsprozessen längst eine politische Macht. Es wird niemals die "Vereinigten Staaten von Europa" geben, und das ist gut so. Aber sie ist trotzdem eine politische Einheit (im Sinne von Gemeinwesen), und sie handelt letztlich auch als solche. Die Werte dieses Gemeinwesens sind liberale Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Toleranz, Solidarität und der Verzicht auf dumpfe Gewaltpolitik. Putins autoritäres Modell ist keine Alternative, denn es überlebt nur dank des Öl- und Gaspreises (wehe, wenn der verfällt, wie schon einmal).

In der politisch-wirtschaftlichen Einheit EU mit ihrer sozialen Marktwirtschaft und dem liberalen, demokratischen Rechtsstaat lebt es sich für die allermeisten einfach besser als anderswo (auch als in den USA). Das ist die einfache Wahrheit, die in diesem EU-Wahlkampf viel zu wenig betont wird.

Österreich war vor dem EU-Beitritt auch kein Armenhaus, aber die Welt wandelt sich, und als isolierter Kleinstaat hätten wir den Wohlstand nicht so halten können. Warum sagt das niemand laut und deutlich? (Hans Rauscher, DER STANDARD, 14.5.2014)