Wien - Bertolt Brecht bezeichnete Sowjetdiktator Josef Stalin einst als "verdienten Mörder des Volkes". 1912 verbrachte der Georgier einige Monate in Wien. An diesen Umstand erinnert heute eine formschöne Tafel in der Schönbrunner Straße. Stalin fand in Meidling genug Muße, um das in Stalinistenkreisen hochgeschätzte Werk Marxismus und die nationale Frage zu verfassen.

Stalins Comeback in Wien vollzieht sich dieser Tage im Theater Drachengasse auf dem Fleischmarkt. Zwar spielt Katharina Tiwalds neues Stück Stalins Heiliger in der jüngeren Vergangenheit und ist in Moskau angesiedelt, genauer gesagt: in einem Verhörkeller des russischen Inlandsgeheimdienstes. Doch die Autorin hat es sich nicht nehmen lassen, dem mörderischen Autokraten zu einem Comeback zu verhelfen.

Stalins Wiederkehr ist in der Tat ein Meidlinger Ereignis. Es erscheint ein kolossaler Mann in brauner Uniform (Rainer Spechtl), der seine Jugend in der Wiener Vorstadt verlebt zu haben scheint. Er äußert sich dialektal unfein über die dralle blonde Russin (Susanne Hirschler), die vor ihm auf Knien herumrutscht. Er stellt sogar sehr nachdrücklich die Sauberkeit ihres Geschlechtsorgans in Frage. Man wird nicht schlau aus dieser Hanswurstiade. Die Blonde greint: "Papi der Völker!" Dschugasch Willi (sic!) kontert: "Wilhelmine, mir graut vor dir!" Aber immerhin gibt Spechtl einen leidlichen Vater Ubu ab.

Solide Verhörszenen

Der überwiegende Rest des Stücks ist ein solider Verhörthriller (Regie: Alexander Medem). Der angebliche Vandalenakt eines angehenden Konzertpianisten (Boris Popovic) ermöglicht es dem "Interrogator" (Victor Couzyn), den jungen Mann in die Zange zu nehmen. Die Beschädigung eines Kunstwerks soll zum Akt nationalrussischer Besitzstandswahrung umgelogen werden. Couzyn funkelt den Sachschädling dämonisch an. Der Jüngling wollte bloß das Andenken seines Urgroßvaters rein erhalten, der zur Zielscheibe einer künstlerischen "Intervention" geworden war. Der Uropa wiederum galt als Heiliger Mann und fand in den Verhörkellern der Lubjanka sein Ende.

Das Stück ist aller Ehren wert. Seine Hochbedeutsamkeit gereicht ihm allerdings nicht zum Vorteil. Stalins Auftritt als korpulenter Liliom ist obendrein entbehrlich. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 14.5.2014)