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Isabel Carrasco (Archivbild vom Oktober 2013) galt jahrelang als besonders machtbewusste Regionalpolitikerin.

Foto: EPA/J. CASARES

Vier Schüsse aus nächster Nähe setzten dem Leben und somit auch der Politikerkarriere von Isabel Carrasco - regionale Vorsitzende des konservativen Partido Popular (PP) und Chefin der Provinzialverwaltung im nordspanischen León - am Montag Nachmittag ein jähes Ende. Die 59-Jährige war auf dem Weg von ihrer Wohnung zum regionalen Sitz der in Spanien mit absoluter Mehrheit regierenden Partei, als sie in León auf offener Straße niedergeschossen wurde.

Alle Parteien - mit Ausnahme der baskischen Separatisten von Bildu - setzten ihren Wahlkampf für einen Tag aus. Die Konservativen von Ministerpräsident Mariano Rajoy und die sozialistische Oppositionspartei (PSOE) - die Gruppierungen liegen Umfragen zufolge Kopf an Kopf - einigten sich am Dienstag darauf, das Fernsehduell zwischen ihren Spitzenkandidaten Miguel Arias Cañete und María Elena Valenciano Martínez-Orozco auf Donnerstag zu verschieben.

Wohl kein politisches Motiv

Erste Spekulationen, vor allem der konservativen Presse, die linke Aktivisten hinter der Bluttat sehen wollten, brachen wie ein Kartenhaus zusammen: "Persönliche Rache" sei das Motiv gewesen, hieß es bereits kurze Zeit nach der Tat aus dem Innenministerium. Die Polizei hatte zwei Frauen - Mutter und Tochter - verhaftet. Ein pensionierter Polizist hatte sie am Tatort erkannt. Es handelt sich um die Ehefrau und um die Tochter des Polizeichefs der nahegelegenen Kleinstadt Astorga. Beide Frauen gehören, so wie die Getötete, dem Partido Popular an.

Die mutmaßliche Schützin, Montserrat Triana M. G., hatte 2007 für den Gemeinderat in Astorga kandidiert. Kurz darauf wurde die heute 35-jährige Ingenieurin von Carrascos Provinzverwaltung in León eingestellt, allerdings schon 2011 wieder entlassen. Erst vor wenigen Tagen verlor M. G. einen diesbezüglichen Prozess vor dem spanischen Arbeitsgericht.

"Es war eine Entlassung aus persönlichen, nicht aus beruflichen Gründen" , zitiert die Lokalpresse eine parteiinterne Quelle. Ob dies tatsächlich das Motiv für den Mord war oder ob es weitere Gründe im Verhältnis von Opfer und den mutmaßlichen Täterinnen gibt, wurde nicht bekannt. Die Ermittlungen werden derzeit geheim gehalten, und die beiden verhafteten Frauen leugnen jedwede Tatbeteiligung.

Der Versuch des Partido Popular, das Mordopfer noch schnell zum Sympathieträger mitten im Finale des Europawahlkampfs zu machen, will nicht so recht gelingen, denn Isabel Carrasco war nicht irgendeine Politikerin: Die einst vom ehemaligen PP-Chef und Ministerpräsidenten José María Aznar geförderte Regionalpolitikerin stand in Spanien jahrelang als Sinnbild für Machtfülle und Korruption.

Carrasco bekleidete bis zu zwölf Posten gleichzeitig. Neben dem Amt als Parteichefin und Regionalpräsidentin bezog sie Gehälter von mehreren öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen, denen sie ebenfalls vorstand. Bis zu 150.000 Euro soll sie pro Jahr verdient haben.

Doch damit nicht genug: Immer wieder wurden Vorwürfe laut, Carrasco habe in die Parteikassen gegriffen. So seien Privatreisen als Dienstreisen deklariert worden, und selbst Schönheitsoperationen soll sie in Rechnung gestellt haben. Carrasco wurde von einem der wichtigsten spanischen investigativen Fernsehprogramme als Beispiel der alltäglichen Korruption des PP an den Pranger gestellt. Innerparteilich soll sie freilich so viel Macht gehabt haben, dass sie viele Kritiker mühelos mundtot machen konnte.

"Wer Wind sät ..."

"Wer Wind sät, wird Sturm ernten", twitterte eine Politikerin der sozialistischen Oppositionspartei PSOE - ein folgenschwerer Fehler: Sie wurde von ihrer Partei umgehend zum Rücktritt gezwungen.

"Und wenn ein Opfer ein schlechter Mensch war?", fragt auf den Seiten der alternativen Monatszeitschrift La Marea der Blogger Hugo Martínez Abarca. "Ein Verbrechen verwandelt ein Opfer nicht in eine wunderbare Person - und eine furchtbare Person macht ein Verbrechen nicht akzeptabel. (...) Wenn die Schandflecken einer Ermordeten vertuscht werden sollen, lässt das vermuten, das diejenigen, die das machen, glauben, dass es besser ist, wenn wir nicht wissen, von wem die Rede ist. Denn das könnte das Verbrechen rechtfertigen", heißt es weiter. (Reiner Wandler aus Madrid, DER STANDARD, 14.5.2014)