Totalen auf das Echsenungetüm sind rar: Godzilla ist in Gareth Edwards' Monsterfilm auf dem Weg nach San Francisco.

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Wien - Kein anderes Monster wurde ähnlich stark durch das 20. Jahrhundert imprägniert wie Godzilla. Ishiro Hondas Klassiker von 1954, der eine unüberschaubare Folge von Sequels und Reboots nach sich zog, wurde durch die Atombombentests der Amerikaner im Südpazifik mitinspiriert. Die Erinnerung an die verheerende Wirkung atomarer Verstrahlung war in Japan noch frisch. Im Original-Godzilla vergegenständlicht sich die auf der Insel herrschende Radiophobie mit düsteren Anklängen in einer radioaktiven Kreatur - selbst Kinder laborieren in dem Film an den Strahlungsschäden.

Die neueste US-amerikanische Reinkarnation von Godzilla schließt an diese Vorgeschichte wieder entschiedener an als andere davor. Ein Stück des Vorspanns, das in die ersten Szenen des Films übergeht, interpretiert den Test von Castle Bravo im Stil eines Super-8-Films als Versuch, Godzilla mit einer Wasserstoffbombe zu eliminieren. Danach wechselt das Geschehen in die 1990er-Jahre zum Schauplatz eines japanischen Kernkraftwerks, wo sich eine Familientragödie ereignet: Der Amerikaner Joe Brody, den Breaking Bad-Star Bryan Cranston gewohnt souverän verkörpert, verhindert zwar den Super-GAU, verliert dabei jedoch seine Frau (Juliette Binoche).

Es dauert ziemlich lang, bis in Gareth Edwards' erstem Blockbuster der eigentliche Star Godzilla aus der Garderobe tritt. Davor wird einiger erzählerischer Aufwand getrieben, um den Figuren ein Profil zu geben, das gegen die Zacken der Echse bestehen kann: Ken Watanabe und Sally Hawkins bilden ein Wissenschaftergespann mit Geheimwissen und grüblerischen Gesichtern; Aaron Taylor-Johnson spielt Brodys Sohn Ford, der wie ein Auserwählter ins Szenario geschleust wird. Der Marine ist wie zufällig stets an dem Ort, an dem die Post abgeht. Sein langer Weg zurück zur Familie verläuft parallel zu den Routen der Monstren. High Noon ist in San Francisco.

Um es abzukürzen: Das Drehbuch von Max Borenstein wirkt bei aller anfänglichen Ambition, sich über die Aneinanderreihung von aufwändigen Set-Pieces hinauszustrecken, merkwürdig zerrissen. Der Film setzt in der Folge gleich mehrmals an - schließlich wollen auch die eigentlichen Widersacher Godzillas, der Grund seines Auftauchens aus den Tiefen des Pazifik, erklärt sein. Diese werden Mutos genannt, sehen aus wie Rieseninsekten und ernähren sich von Radioaktivität. Nuklearraketen verspeisen sie wie kleine, liebgewonnene Snacks.

Verstellte Sicht

Die erzählerischen Inseln erweisen sich gegen all das Getier als chancenlos - es trampelt wortwörtlich darüber hinweg. Fraglos kann man an dieser Stelle einwenden, dass in Godzilla ohnehin nur die Schauwerte zählen. Doch diese erweisen sich eben als wirkungsvoller, wenn auch ein gewisses "human interest" im Spiel ist. Der britische Regisseur Edwards, der sich mit dem Low-Budget-Erfolg Monsters für höhere Aufgaben empfohlen hat, vermag dieser Forderung zumindest visuell einiges abzugewinnen - es ist jene Ebene, auf der Godzilla überzeugt.

Die schönste Idee ist, das 3-D-Spektakel, in dem alle Weichen auf Übergröße stehen, an bestimmte Wahrnehmungsgrenzen heranzuführen. Ansichten von Godzilla sind nämlich meist nur zu bekommen, wenn sie an eine Perspektive gebunden sind. Insofern ist die Sicht oft verstellt, eingeschränkt und schnell wieder vorüber. Für Totalen ist selbst eine Imax-Leinwand zu klein. Dafür sehen wir Zuschauer im Kino das Ereignis quasi mit den Augen der Zuschauer im Film: Sei es durch die Glasfassade eines Flughafens hindurch, mit staunenden Kindern im Bus oder aus der Sicht eines Fallschirmspringers.

Die Riesenechse weiß außerdem, was zu einem stilvollen Auftritt gehört. Elegant taucht sie einmal unter einem Flugzeugträger hindurch, und wiederholt inszeniert Edwards sie in der Art einer optischen Täuschung: Sie steigt aus dem Rauch hervor (oder entschwindet darin). Zusehen lohnt sich, auch für die meisten menschlichen Figuren im Film, die in dem Tête-à-Tête der Monster ohnehin den Kürzeren ziehen.

Die zerstückelten militärischen Gegenstrategien gehören so auch zu den langweiligen Passagen des Films. Möglicherweise ist es jedoch Absicht, das ständige Umladen von Nuklearwaffen monoton und absurd aussehen zu lassen. Godzilla erscheint angesichts solcher irdischer Wuselei als reine Naturgewalt. Er macht sauber, wo andere versagt haben - und schreit. Ein Monster, wie man es sich wünscht. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 13.5.2014)