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In Niederösterreich wurde einem lesbischen Paar untersagt, ein Pflegekind aufzunehmen.

Foto: dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Conchita Wurst macht's möglich: In Kopenhagen, beim Eurovisions-Songcontest, steht Österreich derzeit für Toleranz gegenüber Lesben und Schwulen. Die wahre Situation ist durchmischter: So hat eines der beiden österreichischen Höchstgerichte - der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) - dieser Tage ein De-Facto-Kinderaufziehverbot für lesbische Paare unkommentiert so stehen lassen, wie derStandard.at berichtete.

Die Argumente der Höchstrichter waren dürr und ausweichend: Sie fanden keine inhaltlichen Argumente gegen die Begründung der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten, die 2010 ein Frauenpaar nicht auf eine Warteliste für Pflegeeltern gesetzt hatte, weil sie als gleichgeschlechtliches Paar gemeinsam keine "biologischen Eltern" eines Kindes sein könnten.

Daher, so die Bezirkshauptmannschaft, sei eine "elternähnliche Beziehung" zu einem Pflegekind ausgeschlossen: im Grunde Argumente für ein Homosexuellen-Kinderaufziehverbot.

Retroargumente

Vor eineinhalb Jahren waren diese Retroargumente schon vom zweiten Höchstgericht, dem Verfassungsgerichtshof (VfGH), unwidersprochen geblieben: Aus formalen Gründen verweigerte der VfGH Ende 2012 die Behandlung des Falls. Nach beiden Abfuhren will Anwalt Helmut Graupner jetzt vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) in Straßburg klagen.

Nun erscheint Derartiges in einem Staat, in dem acht von neun Bundesländern Homosexuelle als Pflegeeltern inzwischen akzeptieren, besonders erklärungsbedürftig. Man könnte es - hörte man das Gras wachsen - als Indiz dafür sehen, dass die Errungenschaften der Lesben- und Schwulengleichstellung in Österreich vielleicht wackliger sind, als es scheinen mag.

Bisher wenig diskutiert

Auch wenn dem nicht so ist: In Österreich gab es zur Homosexuellen-und-Kinder-Frage bisher wenig öffentliche Diskussion, sondern eher ein Nebeneinander entgegengesetzter Stellungnahmen. Mehrheitlich gilt die traditionelle heterosexuelle Kleinfamilie weiter als die anstrebenswerte Norm, obwohl zunehmend viele Österreicher anders leben.

Damit geht vielfach, auch bei Menschen, die grundsätzlich für Gleichstellung von Lesben und Schwulen als Eltern sind, die altbackene, aber wohlfeile Meinung einher, dass die Liebe zu einem Kind und die Liebe eines Kindes zu seinen Eltern biologische Ursachen habe. Dass es also so etwas wie die "Stimme des Blutes" gebe, die "echte Elternschaft" begründe. Und, dass es bei der Kindererziehung vorbestimmte Frauen- und Männerrollen gebe.

"Natürliche" Zustände

Auf Adoption und Pflegekindannahme bezogen bedeutet das: Stehen die leiblichen Eltern nicht zur Verfügung, so soll dieser "natürliche", traditionelle Zustand so originalgetreu wie möglich kopiert werden. Alles andere würde bei Kindern Schaden anrichten.

In der Stellungnahme der niederösterreichischen Landesregierung im Verfahren vor dem Verfassungs- und dem Verwaltungsgerichtshof kommt diese herkömmliche Sicht klar zum Ausdruck: "Töchter beziehen zu einem großen Teil ihr Selbstbild als Frau über den Vater", ist dort als Teil der Begründung zu lesen, warum zwei Frauen kein Mädchen bei sich aufnehmen können. Auch sei der Vater "der erste Mann in ihrem Leben, der ihnen das Gefühl gibt, wichtig zu sein ... oder ihr vermittelt, unwichtig zu sein".

Europaweit sind derlei Einstellungen - und noch weit "traditionellere" - klar mehrheitsfähig, wenn man sich die Situation im Nord- und Südosten des Kontinents vergegenwärtigt.

Liebe muss wachsen

Was Vertreter einer solchen Sichtweise - unter ihnen wohl so mancher Höchstrichter - nicht wahrhaben wollen: Im sozialen Leben der Menschen gibt es nur wenig "Natürliches" - weder automatisch sich einstellende Mutterliebe, noch vorbestimmte Vätertreue. Sondern es gibt Konventionen und Gewohnheiten und Verantwortungsgefühl und Vertrauen, das von Erwachsenen bei Kindern errungen werden muss, sodass Liebe entstehen kann.

Das wiederum können zwei Frauen oder zwei Männer genauso wie ein Mann und eine Frau; etliche Untersuchungen belegen das. Doch im vorliegenden niederösterreichischen Lesbenfall haben sie Verfassungs- und Verwaltungsrichter auf  solche inhaltlichen Erwägungen gar nicht erst eingelassen.

Das führt zu einem ethischen Problem. Mitverantwortlich für Diskriminierung ist auch, wer bei diskriminierenden Vorgängen wegschaut. Wer sich weigert, sich damit zu beschäftigen - auch wenn es eine formale, triftige Erklärung dafür zu geben scheint. Im Fall der beiden niederösterreichischen Lesben ist genau das geschehen. Das kann dann auch eine Conchita Wurst nicht aufwiegen. (Irene Brickner, derStandard.at, 10.5.2014)