Sepp Schellhorn führt im Pongau ein exklusives Hotel und steht dabei viel in der Küche: "Ausländische Mitarbeiter helfen, meinen Blick zu schärfen".

Foto: Regine Hendrich

Standard: Wie reagieren Sie, wenn ein Kellner zu viel von Ihrem Zucker nimmt?

Schellhorn: Gar nicht. Jeder soll so viel Zucker nehmen, wie er will - selbst wenn es seiner Gesundheit vielleicht nicht guttut.

Standard: Ist es heute schwerer als früher, gutes Personal zu finden?

Schellhorn: Das ist so. Die Anforderungen haben sich stark verändert, dazu sind die Erwartungen der Jungen an ihr Leben anders als vor 30 Jahren. Darauf müssen wir reagieren. Denn es ist schon auch so, dass Betriebe mit gutem Mitarbeiterklima, wo Lehrlinge gefördert werden, viel besser fahren. Deshalb ärgere ich mich fürchterlich, wenn manche Spitzengastronomen erklären, dass sie mit der Lehrlingsausbildung ganz aufhören, weil es angeblich keine guten Kräfte mehr gibt. Hier wird in bedenklicher Weise Verantwortung abgeschoben.

Standard: Was hat sich konkret verändert?

Schellhorn: Früher war es im klassischen Fremdenverkehr ganz klar, dass auf Saison gearbeitet wird und man sich für die anderen sechs Monate ein weiteres Standbein sucht - oder eben stempeln geht. Das wollen viele nicht mehr. Dazu kommt, dass jeder die Matura machen möchte. Und wir haben hohe Dropout-Raten in jungen Jahren, weil Familien gegründet werden, aber auch, weil viele nicht arbeiten wollen, wenn ihre Freunde frei haben - am Abend und am Wochenende.

Standard: Plachutta macht die "verlotterte Gesellschaft" für das Problem verantwortlich.

Schellhorn: Das kann ich gar nicht teilen. Wir bilden allein in Salzburg sechs Lehrlinge aus, die Meisten werden Top-Mitarbeiter. Ich setze dabei bewusst auf Migranten - gerade die erkennen, was man in der Branche erreichen kann. Fast alle wollen selbstständig werden, sind mit enormer Energie und Lernbegierigkeit bei der Sache.

Standard: Wie reagieren die Gäste auf Migranten im Service?

Schellhorn: Das ist gar kein Thema. Wir sind ja auch bei den Gästen sehr international, über die Hälfte kommt von auswärts. Es tut uns gut, dass wir nicht nur Urösterreicher sind, das schärft den Blick und hilft uns, offener zu sein. Wir haben eine Art interne Ausbildungsakademie eingerichtet, um ihre Deutschkenntnisse zu verbessern und sie speziell zu fördern.

Standard: Wie das?

Schellhorn: Das hat schon vor Jahren begonnen. Irgendwann wurde ich gebeten, einen jungen Flüchtling aus Afghanistan aufzunehmen. Der konnte kein Deutsch - natürlich wurde er zuerst Tellerwäscher. Aber er hat sich fürs Kochen interessiert. So habe ich nach Wegen gesucht, motivierte Migranten weg von der Einstiegsdroge Tellerwaschen zu bringen, ihre Interessen und Talente für mich nutzbar zu machen. Heute ist ein Afghane Sous-Chef im M32, und ich habe ständig Bewerbungen ambitionierter Afghanen - weil sich herumgesprochen hat, dass sie etwas zurückbekommen. Wir haben eigene Deutschkurse und einen Küchenchef und einen Sommelier, die verantwortlich für die Weiterbildung sind.

Standard: Laut Arbeiterkammer werden Lehrlinge allzu oft als billige Arbeitskräfte verstanden statt als junge Auszubildende.

Schellhorn: Ich verstehe die Argumente der AK. Wenn man gute Mitarbeiter haben will, muss man mit Gefühl herangehen. Im ersten Jahr sind viele überfordert, so ist das halt mit knapp 15 Jahren. Man muss ihnen Zeit lassen, Kompetenz zu gewinnen, Hemmungen abzubauen. Klar kostet das, aber die Investition lohnt sich - indem diese Lehrlinge einem dann auch erhalten bleiben. Die Jungen brauchen heute mehr Zeit, bis sie wissen, wohin sie streben wollen.

Standard: Gastronomie ist hart - man ist dauernd auf den Beinen, schleppt schwere Tabletts, braucht soziale Kompetenz. Sind 1320 Euro laut Kollektivvertrag eine angemessene Bezahlung?

Schellhorn: Man muss da unterscheiden - in Qualitätsbetrieben wird im Durchschnitt deutlich über KV gezahlt, in der Hotellerie aktuell 1950 Euro, heuer kommen noch 60 Euro dazu. Der Wirt am Eck zahlt die Überzahlung aber oft schwarz.

Standard: Wenn Sie sich umsehen - wird die Lehrlingsausbildung anderswo besser gehandhabt, gibt es Vorbilder, an denen sich Österreich orientieren sollte?

Schellhorn: Österreich steht bei der Gastronomie-Ausbildung immer noch gut da, unsere Leute haben einen hervorragenden Ruf. Das ist das Fantastische an diesem Job: Man bekommt auf der ganzen Welt Arbeit. Aber wir sollten uns die Niederländer ansehen - die haben das Eintrittsalter um ein Jahr angehoben. Das sehe ich als wichtigen Ansatz: die Jungen nicht gleich auf die Gäste loszulassen, dem Stress auszusetzen. Besser erst eineinhalb Jahre schulische Ausbildung, wo speziell auf soziale Kompetenz hingearbeitet wird. Auch in Schweden und Deutschland macht man damit gute Erfahrungen.

Standard: Vor 20 Jahren ist die Kulinarik in Österreich im Vergleich besser dagestanden. Sind da auch die Unternehmer gefordert?

Schellhorn: Absolut. Es ist schon verdammt lange her, dass wir einen Witzigmann hatten, international Akzente setzen konnten. Heute werden die Trends anderer nachgehüpft. Auch in der Ausbildung wird der Sinn von Gastronomie kaum vermittelt, stattdessen muss endlos auswendig gelernt werden. So verkümmert die Kreativität.

Standard: Wer macht es besser?

Schellhorn: Mir imponieren die Skandinavier, die haben das erkannt. Sie haben einen eigenständigen Weg entwickelt und gezeigt, wie man mit dem Gast auf Augenhöhe kommuniziert. Dafür war natürlich die Ausbildung wichtig, Fremdsprachen und Aufenthalte im fremdsprachigen Ausland. Ich bin selbst mit 18 für fünf Jahre in die Welt gezogen, habe in den verschiedensten Ländern gearbeitet. Das reißt dir das Hirn auf eine Weise auf - unbezahlbar! Man kommt als gefestigte Persönlichkeit zurück, hat gelernt, was Eigeninitiative bedeutet. Darauf sollten wir unser Augenmerk legen, nicht auf stupide Kochwettbewerbe, die enorm viel Geld kosten. Für die besten jedes Jahrgangs muss es Stipendien geben - und zwar für mindestens ein Jahr und im fremdsprachigen Ausland! Weil nach Deutschland kann wirklich jeder gehen. (Severin Corti, DER STANDARD, 10.5.2014)