Bild nicht mehr verfügbar.

Heeresminister Gerald Klug gedachte der NS-Opfer bei der Mahnwache in der Krypta auf dem Heldenplatz.

Foto: apa/Pfarrhofer

Wien - Schon eine der ersten nachgestellten Szenen ist erschütternd. Eine Abordnung Bewaffneter in Uniform wird angewiesen, ab sofort gegen die jüdische Zivilbevölkerung vorzugehen. Wer sich der Ausführung des Befehls nicht gewachsen sieht, solle hier und jetzt nach vorne treten. Nur ganz wenige wagen das. Sie werden versetzt. Jahrzehnte später geben die, die dem Befehl nachkamen, ihre Begründungen zu Protokoll. "Ob ich etwas gedacht habe, kann ich nicht mehr sagen", sagt eine Stimme aus dem Off. Eine andere erklärt: "Ich wollte einfach nicht als Feigling gelten - und ich dachte, die Juden können auch so nicht ihrem Schicksal entgehen."

8. Mai 2014 in der Wiener Stiftskaserne. Wie ein Mahnmal an das NS-Regime ragt im Hof immer noch ein schwarzer Flakturm empor. Im kleinen Kinosaal des Militärgebäudes haben angehende Führungskräfte des Bundesheers Platz genommen. Jung sind die meisten Uniformierten, viele kaum älter als die Burschen, die in dem Film zu sehen sind. Der Dokumentarstreifen, der ihnen zum Jahrestag der Kapitulation der Wehrmacht vorgeführt wird, ist das jüngste Werk von Oscar-Preisträger Stefan Ruzowitzky. "Das radikal Böse" zeigt, wie im Dritten Reich aus normalen Männern Massenmörder wurden - konkret die Taten des Reserve-Polizeibataillons 101 im von den Nazis besetzten Polen.

In der ersten Reihe sitzt der Regisseur. Am Rednerpult erzählt er, was er oft gefragt wird: "Warum schon wieder ein Film über die Nazis? Warum schon wieder über den Holocaust?" Ruzowitzky erinnert das disziplinierte Publikum daran, dass abseits der Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern ein fast vergessener Genozid im Osten stattgefunden hat: "Soldaten zogen dort von Dorf zu Dorf und brachten die Menschen um." Zwei Millionen.

Neben dem Filmschaffenden richten auch Militärpsychologen und -historiker der Landesverteidigungsakademie das Wort an die künftigen Unteroffiziere und Offiziere. Sie referieren über wissenschaftliche Erkenntnisse zu Phänomenen wie Gruppendruck und Gehorsam, aber auch über das Gewissen als inneren Gerichtshof. Dazu mahnt Andreas Stupka, Leiter des Instituts für Human- und Sozialwissenschaften, dass alle Soldaten laut Dienstvorschrift nicht nur gesetzwidrige, sondern auch die Menschenwürde verletzende Befehle stets verweigern müssen: "Es ist wichtig, dass Sie so gefestigt sind, dass Sie stets wissen, was Sie tun!" Denn: "Da können Sie sich nicht abputzen - etwa durch Befehlsnotstand!"

Auch Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) stattet dem Symposium einen Besuch ab, nachdem er schon bei den Mahnwachen auf dem Heldenplatz war. Der Jahrestag, sagt er, habe zwei Gesichter: Einerseits herrsche Freude über die Befreiung vom NS-Regime, andererseits sei diese Befreiung für viele Millionen Menschen zu spät gekommen.

Mut zur Widerrede

Wie der Minister gedenkt an diesem Tag das gesamte offizielle Österreich der Opfer der NS-Zeit. Die Regierungsspitzen begehen einen Festakt im Kanzleramt. Die Grünen erinnern auf dem Ballhausplatz an Deserteure. Auf dem Campus der Wirtschaftsuni enthüllt die Akademie der bildenden Künste ein Mahnmal mit den Namen Ermordeter von Alexander Felch.

Im Kasernenhof im siebenten Bezirk tauschen sich in der Pause Angehörige der Theresianischen Militärakademie aus. Ein junger Oberleutnant findet gut, dass sich das oft "isolierte Subsystem Militär" an dem Tag auch "den Erkenntnissen von Zivilisten" zur Gewaltbereitschaft stellt.

Ob er selbst jemals einen Befehl verweigert hat? Ja - bei einer Anweisung von oben, mehr Personalmeldungen für eine Einsatzbereitschaft anzugeben, als aus Spargründen tatsächlich möglich war. "Das wäre unseriös gewesen." Sein Namensschild prangt gut sichtbar an der Brust. "Sie können ruhig meinen Namen schreiben", sagt er. "Dazu stehe ich." (Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 9.5.2014)