Adios, Milchstraße: Der Stern LAMOST–HVS1 hat seine ursprüngliche Heimat im galaktischen Zentrum weit hinter sich gelassen. Draußen gilt es, den Halo aus Dunkler Materie zu durchqueren.

Foto: Ben Bromley, University of Utah

Salt Lake City - Sehr oft kommt es nicht vor, dass ein Stern durch äußere Einflüsse nicht nur aus seiner bisherigen Bahn herausgerissen, sondern dabei derart beschleunigt wird, dass er die nötige Fluchtgeschwindigkeit erreicht, um das Gravitationsfeld der Milchstraße zu verlassen: Vielleicht einmal alle 100.000 Jahre, sagt der Astronom Zheng Zheng von der University of Utah. Dementsprechend wenige dieser sogenannten "Hyperschnellläufer" kennt man bis jetzt - nur etwa 20 gelten als gesichert.

Den von uns aus gesehen nächsten und zugleich einen der hellsten Sterne dieser Kategorie haben nun US-amerikanische und chinesische Forscher identifiziert und in den "Astrophysical Journal Letters" vorgestellt. Benannt nach dem "Large Sky Area Multi-Object Fiber Spectroscopic Telescope" (LAMOST) in China, befindet sich der Stern LAMOST–HVS1 etwa 42.000 Lichtjahre von uns entfernt und bewegt sich mit rasanten 620 Kilometern pro Sekunde von uns weg. Zum Vergleich: Die Sonne kreist mit einer Umlaufgeschwindigkeit von etwa 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. In Relation zum Milchstraßenzentrum ist LAMOST–HVS1 immer noch mit 477 Kilometern pro Sekunde unterwegs. Das reicht, um ihn aus unserer Galaxie hinauszutragen.

Junger Stern mit aufschlussreicher Bahn

LAMOST–HVS1 ist etwa neunmal massereicher als unsere Sonne, viermal heißer und - würde man die beiden Sterne aus gleicher Entfernung beobachten - 3.400 Mal heller. Allerdings handelt es sich um einen kosmischen Jüngling: Laut Zheng ist er nur 32 Millionen Jahre alt. Der Stern entstand also in dem Zeitraum, als sich in unserem Stammbaum bereits die gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Menschenaffen von den übrigen Affen trennten.

Noch werden weitere Messungen benötigt, die bisherigen Daten deuten laut Zheng aber darauf hin, dass LAMOST–HVS1 ursprünglich aus dem galaktischen Zentrum stammt. Das würde zur Theorie passen, dass das dortige supermassereiche Schwarze Loch eine entscheidende Rolle für Hyperschnellläufer spielt. Für das plausibelste Szenario halten Astronomen binäre Sternsysteme, die dem Schwarzen Loch zu nahe kommen: Einer der Sternpartner wird von der Anziehungskraft des Schwarzen Lochs, das etwa die viermillionenfache Masse unserer Sonne haben soll, in einen Orbit gezwungen, während der zweite Stern davongeschleudert wird.

Aus der Beobachtung solcher rasenden Sterne erhoffen sich Astronomen wie Zheng daher zum einen neue Erkenntnisse über das galaktische Zentrum selbst. Zum anderen aber auch über den Halo aus Dunkler Materie, der gemäß dem Standardmodell der Kosmologie die Milchstraße umgeben soll und daher die weitere Bahn solcher aus der Galaxie verbannter Sterne beeinflussen müsste. (jdo, derStandard.at, 8. 5. 2014)