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Justizminister Wolfgang Brandstetter hat das Paket mit dem Koalitionspartner SPÖ abgestimmt.

Foto: apa/Techt

Wien - Justizminister Wolfgang Brandstetter setzt Ermittlungen ein Zeitlimit: Nach drei Jahren soll der Staatsanwalt sie nur mehr mit gerichtlicher Genehmigung fortsetzen können. Das ist Teil des Pakets zur Strafprozessordnung (StPO), das Brandstetter am Mittwoch in Begutachtung schickte und präsentierte. Sein Ziel ist, die Verfahrensdauer zu verkürzen und den Rechtsschutz zu stärken.

Zweiter Berufsrichter

In der Vergangenheit hatten überlange Verfahren immer wieder für Diskussionen gesorgt. Der Prozess im Fall der Internetfirma Yline begann beispielsweise erst zwölf Jahre nach der ersten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft.

Zur Beschleunigung und Entlastung der Gerichte soll überdies in kleinen Delikten wie Körperverletzung bei einem Verkehrsunfall ein Mandatsverfahren ohne Hauptverhandlung möglich werden, in größeren Causen soll der zweite Berufsrichter im Schöffenverfahren wieder eingeführt werden. Wie schon angekündigt, bringt das Strafprozessordnungs-Paket auch die Unterscheidung zwischen einem - nur aufgrund einer Anzeige - Verdächtigen und einem Beschuldigten sowie Maßnahmen zur "Klarstellung der Objektivität und Unabhängigkeit" von Sachverständigen. Außerdem wird der Verteidigungskostenersatz bei einem Freispruch verdoppelt.

Das Paket sei mit dem Koalitionspartner SPÖ abgestimmt, betonte Brandstetter. Er hofft auf einen Beschluss noch vor dem Sommer, in Kraft treten solle es mit 1. Jänner 2015. Am Mittwoch ging der Entwurf in Begutachtung, bis Ende Mai ist Zeit für Stellungnahmen.

"Legales Tuning für Justiz"

Brandstetter erhofft sich durch sein StPO-Paket ein "legales Tuning für die Justiz". Die Beschleunigung der Ermittlungen in den wenigen, aber meist aufsehenerregenden Großverfahren vor allem im Wirtschaftsbereich sei sein Hauptanliegen, sagte der Justizminister am Mittwoch.

Das Paket fiel größer aus als angekündigt – und enthält überraschend auch das Zeitlimit für die Ermittlungen in Strafverfahren. Wenn sie länger als drei Jahre dauern, muss der Staatsanwalt sich das künftig vom Einzelrichter am Landesgericht "absegnen" lassen. Liegen keine ausreichenden Gründe dafür vor, sind die Ermittlungen mit Ablauf der drei Jahre beendet. Bei triftigen Gründen kann der Richter die Frist (auch mehrmals hintereinander) um zwei Jahre verlängern – wenn etwa ein Verfahren "extrem kompliziert" ist, zum Beispiel wegen Firmenverflechtungen, oder wenn es viele Beschuldigte gibt. Rechtshilfeersuchen im Ausland werden auf die Frist nicht angerechnet.

Die Staatsanwälte sollen damit zu "zügiger und zielgerichteter Ermittlungstätigkeit" angehalten werden, sagte Brandstetter, aber auch sie selbst könnten davon profitieren: Denn mit dem Gerichtsbeschluss auf Fortführung werde ihnen "der Rücken gestärkt", wenn Ermittlungen zu Recht lange dauern sollten. 

Wieder Beisitzer in Schöffenverfahren

Ebenfalls eine Beschleunigung großer Verfahren erhofft sich Brandstetter von der Wiedereinführung des Beisitzers in Schöffenverfahren – und zwar bei Wirtschaftsdelikten mit Schaden über einer Million Euro, bei schwerem Amtsmissbrauch und Korruptionsdelikten (Schaden über 100.000 Euro), Terror- oder organisiertem Verbrechen und in allen Verbrechen mit Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren, etwa schwerem Raub. Die nötigen Planstellen dafür sind bereits im Budget enthalten. Elf Posten wurden vorgesehen – das sind so viele, wie mit dem Sparpaket 2009 bei der Streichung des zweiten Berufsrichters weggefallen sind. 

Um Beschleunigung, aber auch um die Entlastung der von Einsparungen stark betroffenen Bezirksgerichte geht es Brandstetter bei der Wiedereinführung des Mandatsverfahrens. In Strafverfahren vor dem Bezirksgericht, aber auch dem Einzelrichter am Landesgericht kann bei "unterster Kriminalität" – "wenn alles klar ist" – auf die Hauptverhandlung verzichtet und das Verfahren einfach mit einer Strafverfügung beendet werden. Der Betroffene muss zustimmen. Ist er nicht einverstanden, kann er mit einem formlosen Einspruch beim Gericht die Fortsetzung des Verfahrens samt Hauptverhandlung erzwingen. In Frage kommt das Mandatsverfahren bei Delikten, die maximal mit Geldstrafe oder einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Das fällt nicht unter "Diversion". Deren Einsatz soll mit dem Paket übrigens gestärkt werden, der Tatausgleich soll "unbürokratischer" durchgeführt werden können. 

Beschuldigte und Verdächtige

Mit der großen Vorverfahrensreform 2008, die Beschuldigtenrechte (etwa auf Beiziehung eines Anwalts) von Beginn an brachte, tauchte das Problem auf, dass Personen oft nur wegen anonymer Anzeigen mit unbegründetem Verdacht als Straftäter gebrandmarkt wurden. Das will Brandstetter mit der Unterscheidung zwischen Beschuldigtem und Verdächtigem verhindern – mithilfe des neuen Begriffs "Anfangsverdacht". Es wird (auch mit Blick auf die Berichterstattung der Medien) klargestellt, dass ein Ermittlungsverfahren erst dann beginnt, wenn es hinreichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass eine Straftat begangen wurde. Nicht als "Ermittlung" gelten soll die Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen wie Internet, Grundbuch et cetera. Und auch ein Antrag auf Auslieferung eines Abgeordneten soll nicht schon zur Abklärung einer vagen Verdachtslage gestellt werden müssen, sondern erst bei tatsächlichen Ermittlungen wegen eines konkreten Tatverdachts.

Die Information der Öffentlichkeit durch die Staatsanwaltschaft soll überdies rechtlich abgesichert werden. Staatsanwälte würden mitunter wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses angezeigt, wenn sie Medien Auskunft geben. Das sollte mit der neuen Regelung ausgeschlossen sein, meinte Brandstetter. 

Ein vieldiskutiertes Problem in Großverfahren ist der Einsatz von Sachverständigen – vor allem, wenn ein Sachverständiger, der schon für den Staatsanwalt in den Ermittlungen tätig war, auch im Hauptverfahren vom Gericht eingesetzt wird und seinem Gutachten widersprechende Privatgutachten vorliegen. Auch angesichts der höchstgerichtlichen Judikatur will Brandstetter das beheben, indem die Beschuldigten stärker in die Sachverständigenbestellung eingebunden werden. Sie sollen im Ermittlungsverfahren einen Antrag auf Enthebung stellen und auch einen anderen Sachverständigen vorschlagen können. Wenn die Staatsanwaltschaft diesem Antrag nicht folgt, muss sie es begründen. Außerdem sollen vom Beschuldigten oder seinem Verteidiger vorgelegte Privatgutachten zwingend Akteninhalt werden – also auch in der Beweiswürdigung beachtet werden müssen.

Mehr Geld für Freigesprochene

Gegen einen vor allem seit dem Tierschützerprozess diskutierten Missstand will Brandstetter "im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten" – also der knappen Mittel – einen ersten Schritt setzen: Der Verteidigungskostenersatz für Freigesprochene soll verdoppelt werden. Das bedeutet zum Beispiel künftig 10.000 Euro bei Geschworenen- und 1.000 Euro bei Bezirksgerichtsverfahren.

Brandstetter geht davon aus, dass sich an dem vorgeschlagenen Paket nicht mehr allzu viel ändern wird. Mit dem Koalitionspartner sei es akkordiert. Und der Minister selbst hat "eine Riesenfreude" – und lobte die Verfasser mehrfach für ihren "wirklich hervorragend geschriebenen" Entwurf. (APA, 7.5.2014)