Schule in Burkina Faso: "Wir schicken Gesundheitshelfer in die Dörfer, um die Menschen davon zu überzeugen, behinderte Kinder in die Schule zu schicken", sagt René Nare, Direktor des Community Based Rehabilitation Center in Garango.

Foto: Aleksandra Pawloff

Emanuel sitzt auf einer Decke am Boden und blickt spitzbübisch in die Runde. "Seht her, was ich kann!", scheint sein Blick zu sagen. Dass der Fünfjährige, der zart und zerbrechlich wirkt, überhaupt sitzen kann, grenzt an ein Wunder: Er war bei seiner Geburt gelähmt, die Mutter hatte ihn gleich nach der Niederkunft im Busch zurückgelassen. Nun plagen ihn aufgrund der Unterversorgung bei der Geburt Spasmen, die seine Hände verkrampfen. Doch der Bub hatte Glück im Unglück: Er wurde nach 24 Stunden von Frauen aus dem nahen Dorf entdeckt und zu Noelie Oubda gebracht, die selbst keine Kinder hat und sich seiner annahm.

Heute wird die Familie von einer mobilen Sozialarbeiterin mit physiotherapeutischer Ausbildung aus dem nahen Rehabilitationszentrum betreut: Hélène kommt zweimal die Woche, um die Fortschritte des Kleinen zu überprüfen und physiotherapeutische Übungen mit der Pflegemutter durchzugehen. Denn Emanuel hat ein Ziel: eines Tages zur Schule gehen zu können! Während Hélène und Noelie sich um den Kleinen kümmern, schauen die restlichen Familienmitglieder aus sicherer Entfernung zu. Sie alle leben in einem der typischen Gehöfte, die aus kleinen, strohbedeckten Lehmhütten bestehen und durch Mauern nach außen hin geschützt sind.

Mitten in der Savanne

Hier in Burkina Faso, einem der ärmsten Länder der Welt, herrscht gerade Trockenzeit. Das bedeutet sengende Hitze und vor allem Staub, der durch jede Ritze dringt, Augen tränen und Nasen austrocknen lässt. Lange Autofahrten über staubige Landstraßen führen durch die terracotta-farbene Savanne, vorbei an Baobab-Bäumen und abgelegenen Dörfern.

Das Community Based Rehabilitation Center (CBR) in Garango ist eines von acht Gemeindenahen Rehabilitationsprogrammen in Burkina Faso, die von der Organisation "Licht für die Welt" ermöglicht werden. Unter dem Schatten der Bäume forumuliert René Nare, Direktor des Zentrums, seine Anliegen: die Menschen in den umliegenden Dörfern über Behinderung aufzuklären und Betroffene zu unterstützen. "Wir schicken Gesundheitshelfer in die Dörfer, um die Menschen davon zu überzeugen, behinderte Kinder in die Schule zu schicken", erklärt Nare. "Im Rehabilitationszentrum bieten wir zudem Beratung und Behandlungen an." Die Behandlung im Zentrum ist günstiger als in den umliegenden Spitälern.

Behinderung als Stigma

Schätzungen zufolge sind rund 14 Prozent aller Menschen in Burkina Faso von einer Behinderung betroffen. Vor allem bei Kindern ist diese ein Stigma und wird oft mit einem Fluch oder einem Selbstverschulden der Mutter erklärt. Dementsprechend schwach ist die Stellung von diesen Menschen und ihre Integration in die Gesellschaft. "Licht für die Welt" setzt sich seit 25 Jahren für die Chancen und Rechte behinderter Menschen in Ländern wie Burkina Faso ein.

80 Prozent aller Menschen mit Behinderung leben in Entwicklungsländern: Sie haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung oder Arbeit und sind Diskriminierungen ausgesetzt. Dabei wäre rund die Hälfte der Behinderungen vermeidbar oder könnte behandelt werden. Dazu kommt, dass Burkina Faso eines der ärmsten Länder der Welt ist, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebt und nur 29 Prozent der Menschen lesen und schreiben können.

Und doch gehen Kinder hier gerne zur Schule, denn Schulbildung ist alles andere als selbstverständlich. Das zeigt ein Besuch in einer Dorfschule: unzählige Kinder kommen herangelaufen und wollen die Hand schütteln. Später wird der Schuldirektor erklären, dass viele der Kinder so hungrig sind, dass sie sich im Laufe des Tages immer weniger konzentrieren können. Doch noch ist die Begeisterung in den Klassen groß, die Kinder streiten sich darum, die Fragen der Lehrerin zu beantworten. "Moi, moi!" (franz. für ich, ich!) tönt es von allen Seiten.

Darunter auch Hassana: Zwergwüchsig und weichknochig sticht sie aus der Menge der Schulkinder heraus. Dass die Sechzehnjährige zur Schule gehen kann, hat sie der Arbeit von "Licht für die Welt" zu verdanken: Sozialarbeiter des Rehabilitationszentrums in Garango entdeckten sie vor einigen Jahren und betreuen sie seitdem regelmäßig. Aus dem bettlägrigen Mädchen ist eine selbstbewusste junge Frau geworden, deren Lieblingsfach in der Schule Mathematik ist.

Fürs Leben lernen

Hassanas Klasse ist nur eines von vielen Beispielen für inklusive Bildung in der Region Garango: Von 72 Schulen sind 55 inklusiv, also auch für Kinder mit Behinderung offen. Inklusive Bildung ist ein Schwerpunkt des Bildungsministeriums in Burkina Faso, Schulen wie das CEFISE (Center for Inclusive Education and Training for Deaf and Hearing People) in der Hauptstadt Ouagadougou sind über die Landesgrenzen hinweg bekannt. Drei frühere Schulen für gehörlose Kinder und Jugendliche nahmen hier nach und nach auch hörende Kinder auf, heute machen diese 90 Prozent der Schüler aus.

In der CEFISE werden jedoch nicht nur gehörlose und hörbehinderte Schüler unterrichtet, sondern auch Kinder und Jugendliche mit anderen Behinderungen: von insgesamt rund 3700 Schülern sind 450 behindert. "Bei uns lernt jeder Schüler neben den üblichen Schulfächern auch die Gebärdensprache", erzählt die Direktorin Thérèse Kafando. Worum es bei inklusiver Bildung geht, bringt Kafando folgendermaßen auf den Punkt: "In unserer Schule bekommen alle Schüler, ob mit Behinderung oder ohne, ein gesundes Selbstbewusstsein mit auf den Weg. Sie lernen fürs Leben." (Susanne Wolf, derStandard.at, 22.5.2014)