Kommissar Johannes Hahn und der Leiter der ÖVP-Delegation im EU-Parlament Othmar Karas im Jahr 2009. Karas könnte Hahn nun eventuell als Kommissar beerben.

Foto: Heribert CORN

Wer wird Österreichs nächster EU-Kommissar in Brüssel? Kann Johannes Hahn (ÖVP) bleiben? Oder muss er dem Parteifreund Othmar Karas, ÖVP-Spitzenkandidat bei den Europawahlen, weichen, der neuerdings als Favorit für den Posten gehandelt wird? Bei den EU-Wahlen in knapp drei Wochen dürften dafür jedenfalls die Weichen gestellt werden. Denn sie bringen zunächst eine Entscheidung, wer der nächste Präsident der EU-Kommission werden wird: der Konservative Jean-Claude Juncker oder der Sozialdemokrat Martin Schulz.

Zwar sind die Staats- und Regierungschef gemäß EU-Vertrag im Prinzip zwar frei, irgendeinen Kandidaten ihres Vertrauens zu nominieren. Da die allermeisten von ihnen sich jedoch in der Vorwahl der Parteienfamilien bereits für Juncker oder Schulz als Spitzenkandidaten entschieden haben, wäre alles andere als einer der beiden als Nachfolger von José Manuel Barroso wohl eher überraschend – und vor allem eine Wählertäuschung. Nur aus Großbritannien und Ungarn gibt es bisher starken Widerstand gegen die beiden EU-Integrationisten aus Luxemburg und Deutschland.

Neuer Kommissionspräsident entscheidet über neue Kommission

Aus österreichischer Sicht ist die Wahl von Schulz oder Juncker unter anderem eben deshalb so wichtig, weil der Kommissionspräsident im Anschluss an seine Wahl durch eine Mehrheit des Europaparlaments die Schlüsselperson schlechthin bei der Gestaltung der künftigen EU-Kommission ist. Der Präsident vergibt die Dossiers, er und nur er verteilt die Kompetenzen in seinem Team, er wählt die Leute seines Vertrauens aus, kann Vorschläge der Regierungen auch ablehnen.

Die Bundesregierung in Wien macht in der Regel mehrere Personalvorschläge, sie muss den österreichischen Kommissar am Ende auch einstimmig beschließen. Aber welches Dossier ein Kommissar bekommt, darauf hat sie nur indirekt Einfluss über die Person, die sie auswählt. Am Konsens mit dem Kommissionspräsidenten in Brüssel führt kein Weg vorbei.

Im Oktober tritt die neue Kommissarin bzw. der Kommissar in Brüssel den Dienst an. Und da könnte es eine Überraschung geben, was den derzeitigen Regionalkommissar Johannes Hahn (ÖVP) betrifft. Das lässt sich kurz vor der Wahl aus der ÖVP vernehmen. Offiziell will dazu niemand etwas sagen. Parteichef Michael Spindelegger erklärte bisher nur, dass es für eine Entscheidung noch viel zu früh sei – was von manchen allein schon als Misstrauensbeweis für Hahn gedeutet wird.

ÖVP steht nicht klar hinter Hahn

Denn dass die ÖVP sich nicht klar hinter Hahn stellt, steht in auffälligem Kontrast zum Koalitionspartner SPÖ bzw. Kanzler Werner Faymann. Er hat sich mit Hahn in den vergangenen Jahren gut arrangiert und hätte nichts dagegen, wenn dieser für weitere fünf Jahre in der Kommission bleibt. Das wird in Brüssel kolportiert. Zur Erinnerung: Der SPÖ-Chef war es im Herbst 2009 gewesen, der den von der ÖVP-Spitze mit Kommissionschef Barroso im Vorfeld bereits fix vereinbarten Kommissarsposten für Ex-Finanzminister und –Vizekanzler Wilhelm Molterer im letzten Moment verhindert hat.

Eine kuriose Interessenrochade der Parteien also. In der SPÖ gibt es zwar Kopfschütteln bis Protest, dass Faymann den Kommissar zwanzig Jahre nach dem EU-Beitritt Österreichs schon wieder der ÖVP überlassen will (die mit Franz Fischler, Benita Ferrero-Waldner und Hahn bisher alle Kommissare stellte). Aber die SPÖ will sich im Gegenzug offenbar lieber den Einfluss auf den ORF über die Wahl des Generaldirektors sichern. Dazu kommt, dass die SP nicht allzu viele herzeigbare Kandidaten hat, die in Brüssel auf wichtige Kommissarsposten gehievt werden könnten.

Schieder, Leichtfried, Swoboda als SPÖ-Kandidaten

Oft genannt wird Klubobmann Andreas Schieder. Er engagiert sich zwar (wie schon sein Vater Peter Schieder als langjähriger außenpolitischer Sprecher der SPÖ) seit Jahren bei den europäischen Sozialdemokraten. Aber sein höchstes Amt war bisher nur Finanzstaatssekretär in der Regierung, er hatte noch nie ein EU-Mandat inne. Damit kann man auf der europäischen Ebene der Kommission, wo Ex-Premierminister und starke Ex-Minister großer Länder agieren, bestenfalls die dritte Geige spielen.

Der SPÖ-Delegationsleiter Jörg Leichtfried brachte sich selber zwar immer wieder als Kandidat ein, sollte die SPÖ bei den EU-Wahlen auf Platz eins kommen. Aber auch ihm fehlt es an politischem Gewicht. Der einzige, der von der SPÖ als wirklich "kommissariabel" gilt, wäre Hannes Swoboda, angesehener  Fraktionschef der europäischen Sozialdemokraten im Europaparlament. Aber er will mit 67 Jahren eigentlich in Pension gehen. Kommissar würde er "nur im Notfall" werden, ließ er wissen.

Beste Karten für Karas

So dürfte das Rennen um den österreichischen EU-Kommissar wieder in der ÖVP entschieden werden. Und damit sind wir bei einem Dreikampf, in dem Karas, der Ex-Generalsekretär der Partei, langjährige EU-Abgeordnete und Vizepräsident des Europäischen Parlaments, die besten Karten haben dürfte – sofern er am 25. Mai für seine ÖVP den ersten Platz sichert.

Von Hahn hingegen ist kaum die Rede. Er habe in den vergangenen Jahren ein gutes Networking betrieben, heißt es in der Volkspartei. Aber Begeisterungsstürme löste er bei seinen Parteifreunden offenbar nicht gerade aus. Auch Karas, der einen Persönlichkeitswahlkampf ohne Parteilogo führt, ist in der Spitze der Volkspartei nicht sehr beliebt. Insbesondere Parteichef Michael Spindelegger "fremdelt" mit ihm seit immer schon.

Aber Karas scheint einen entscheidenden Trumpf in der Hand zu haben. Das bestätigen gleich zwei Spitzen-ÖVPler unumwunden: "Wenn die ÖVP erster bleibt, und ein Ergebnis von 26 Prozent plus erreicht, dann ist Karas als EU-Kommissar nicht zu verhindern." Seit dem Wiederantreten der rot-schwarzen Regierung im Dezember ging es mit der Volkspartei in der Wählergunst steil bergab, besonders seit dem Hypodebakel, an dem Spindelegger als Finanzminister würgt. In nationalen Umfragen fiel sie auf Platz drei zurück. Sollte Karas also "das Wunder" schaffen und die ÖVP in der Spitzenposition halten können, "dann darf er sich von Spindelegger alles wünschen", prophezeit ein Schwarzer.

Die Chancen dafür stehen von der Ausgangsposition gar nicht so schlecht. Denn 2009 kam die ÖVP auf 30 Prozent, die SPÖ auf knapp 23,7 Prozent, die FPÖ auf schwache 12,7. Selbst bei Stimmenverlusten der ÖVP müsste die SPÖ sehr gut abschneiden, um wieder nach vorne zu kommen. Umfragen sind derzeit kaum aussagekräftig, weil die Abstände knapp sind.

Mit EU-Wahlerfolg kommt Spindelegger aus der Gefahrenzone

Ein ÖVP-Retter Karas als künftiger EU-Kommissar, damit würde bei aller persönlicher Abneigung aber vermutlich sogar Spindelegger ein Stein vom Herzen fallen. Denn ein solcher Wahlerfolg würde auch für den ungeliebten ÖVP-Chef bedeuten, dass er aus der Gefahrenzone kommt. Noch vor nicht allzu langer Zeit wurde in der ÖVP eine ganz andere Kommissarsvariante durchgespielt: Sollte die Volkspartei abstürzen und auf Platz drei landen, dann könnten die Tage Spindeleggers als Parteichef gezählt sein, er selber als EU-Kommissar nach Brüssel wechseln. Ausgerechnet Karas könnte dies nun verhindern, der nach der Wahl ohnehin einen  neuen prestigeträchtigen Posten suchen muss. Sein Mandat als Vizepräsident des EU-Parlaments läuft im Juli aus. Dass er dann als Delegationschef von fünf EU-Abgeordneten der ÖVP in Straßburg glücklich wird und seinen politischen Ehrgeiz damit stillt, ist eher unwahrscheinlich. Schon gar nicht, wenn er sich als Wahlsieger präsentieren könnte.

Bleibt die Frage, ob die möglichen EU-Kommissionspräsidenten Juncker oder Schulz mit Karas "können", ob er ihre Zustimmung fände. Auch da hat Karas, der seit 1999 im Europaparlament unermüdlich am Aufbau seines Netzwerkes arbeitete, keine ganz schlechten Karten: Mit seinem Parteifreund Juncker, wie er ein sozialer orientierter Christdemokrat und glühender Europäer, ist er seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. Aber auch mit dem nach Eigendefinition "überzeugten Sozi" Schulz versteht Karas sich blendend auf Basis wechselseitigen Respekts, wovon man sich in einem Streitgespräch der beiden im STANDARD überzeugen konnte. Schulz sagte über Karas, dass er an ihm besonders seine "Charakterfestigkeit" schätze, er sei "ein Mann voller Überzeugungen, für die er einsteht. Im Streit muss er dafür, glaube ich, oft viel einstecken, auch in seiner eigenen Partei. Aber das zeichnet ihn als einen geradlinigen Mann aus." Es klang wie ein präventiver Ritterschlag. (Thomas Mayer, derStandard.at, 7.5.2014)