Maria Lassnig 1919-2014.

Foto: Sepp Dreissinger

Übergabe des Goldenen Löwen an Maria Lassnig im Juni 2013.

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Maria Lassnig: "Alles gut und schön - und trotzdem sehr beschissen."

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Aktuelle Lassnig-Ausstellung im New Yorker MoMA PS1.

© 2014 MoMA PS1; Photo Matthew Septimus

"Ich habe die Jahre nie gezählt. Ich war nie jung. Und bin jetzt nicht alt", sagte Maria Lassnig bei einem der Besuche. "Den Tod habe ich abgelehnt und fand es eine wahnsinnige Verschwendung, dass das Leben plötzlich aus ist. Warum das Lebensende am Höhepunkt? Aber jetzt sehe ich, dass man sich von der Welt langsam entfernt. Eigentlich stelle ich mir meinen Tod sehr sanft vor." Maria Lassnig, die große österreichische Malerin war zeitlebens ironisch und selbstironisch, bitterböse, sehnsuchtsvoll und abgeklärt. Jugendfrisch und altersweise. Kämpferisch und poetisch. Alles. Nur nicht altersmilde oder gar sentimental. Nicht die Kunst. Nicht die Künstlerin.

Sie gehörte zu den wichtigsten Kunstschaffenden weltweit, mit Ausstellungen in den Kunstzentren Europas und den USA, Biennale in Venedig, zweimal documenta in Kassel, Düsseldorf, Nürnberg, Köln, Berlin, Luzern, Paris, New York, Den Haag, Frankfurt, Zürich, München und Rom, überhäuft mit nationalen und internationalen Preisen. Österreich ehrte sie (übrigens als erste bildende Künstlerin) 1988 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und zehn Jahre später mit dem Oskar Kokoschka-Preis.

Maria Lassnig im Video-Porträt des MUMOK aus dem Jahr 2009

Im Dezember 2013 nahm sie schließlich auch das Ehrendoktorat an, das ihr die Klagenfurter Universität schon vor vierzehn Jahren, zu ihrem 80. Geburtstag, verleihen wollte. Doch Lassnig lehnte ab, von Haider und seinen politischen Erben wollte sie nicht geehrt werden.

Im Juni 2013 wurde sie auf der Biennale von Venedig für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Den Goldenen Löwen konnte sie ihrer angeschlagenen Gesundheit wegen nicht mehr selbst entgegennehmen. Ihre Dankesworte, verlesen von Joanneum-Chef Peter Pakesch, waren von wehmütiger Deutlichkeit: "In Venedig gibt es so viel Wasser, das macht mir Angst. So viel Wasser ist auch geflossen im Laufe meines Lebens als Künstlerin. Nun bin ich überwältigt. Nach mehr als 70 Jahren mit der Kunst, mit vielen Entbehrungen und Nöten, nach vielen Ausstellungen und Erfolgen, die spät kamen, soll ich jetzt diesen großen Preis entgegennehmen, was mir nun nicht mehr persönlich möglich ist. Ich bin einfach zu schwach, und Venedig mit seinem vielen Wasser ist zu weit entfernt. Gerne denke ich an meine Ausstellung im österreichischen Pavillon zurück – damals."

Lange, sehr lange hatte Lassnig auf künstlerische Anerkennung warten müssen – wohl auch, weil sie keine angepasste Netzwerkerin war und Anbiederei an die Mächtigen des Kunstmarktes strikt ablehnte. Nein, die Kunst des Schmeichelns beherrschte Maria Lassnig nicht. Sie war widerborstig, schroff. Folglich: Kein Senkrechtstart, sondern ein schwieriges, entbehrungsreiches Künstlerdasein. Erst 1980 kehrte sie aus New York nach Wien zurück, weil sie mit sechzig als Professorin an die Universität für angewandte Kunst berufen wurde. Es folgten Ausstellungen weltweit, ihre Bilder erzielten Rekordpreise. Doch Maria Lassnig war keine, die der Erfolg milde oder nachsichtig gemacht hätte. Im Gegenteil. Ihre Empörung blieb immer frisch, die Wut unverbraucht, die Enttäuschung jung. Trotz des Welterfolgs fühlte sie sich zu wenig respektiert und anerkannt. Es bedeutete daher auch eine späte Genugtuung für sie, dass mehr als siebzig ihrer Arbeiten noch bis zum 25. Mai 2014 im New Yorker PS 1, einer Expositur des Museum of Modern Art, ausgestellt sind.

Malerische Dialoge

"Man hat", sagte sie einmal über das Künstlerinnendasein, "einer Frau nie so viel geglaubt wie einem Mann, sondern gesagt, nach der Tradition wird die sowieso heiraten. Kinder und Malerei, das wäre – für mich jedenfalls – unmöglich gewesen. Aber es tut mir um jeden Kuss leid, den ich nicht gegeben habe. Deshalb bin ich manchmal zu Tränen gerührt, wenn mich ein Kind streichelt. Oder eine Katze mich umstreicht."

Geboren 1919 in Kappel in Kärnten als lediges Kind – was sie später im Zeichentrickfilm Palmestry verarbeiten sollte –, unterrichtete sie zuerst an einer kleinen Volksschule im Metnitztal, ehe sie 1941 zur Aufnahmsprüfung an die Akademie nach Wien radelte. Nur zwei Jahre später musste sie Wilhelm Dachauers Klasse wieder verlassen, ihre Bilder galten inmitten des heimattümelnden Realismus als "entartet". Ihr Studium schloss sie bei Ferdinand Andri und Herbert Boeckl ab.

Immer wieder malte sie die geliebte Mutter – "Ich war ein richtiges Mutti-Kind. Wie sehr ich sie gebraucht habe, habe ich erst gemerkt, nachdem sie gestorben war" – und erste Selbstporträts, die bereits ihr künstlerisches Lebensprinzip erkennen lassen: die Suche nach einer Realität, die, wie sie erklärte, "mehr in meinem Besitz ist als die Außenwelt". In einem einsamen, aber nie abbrechenden Dialog mit sich selbst ertastete Maria Lassnig ihre Identität, gab ihren Körpergefühlen, Körperempfindungen in ihren Körperbewusstseinsbildern äußere Form. Malte sie in, wie sie sagte, "Wirklichkeitsfarben: Gedankenfarben, Schmerzfarben und Qualfarben, Druck- und Völlefarben, Todes- und Verwesungsfarben, Krebsangstfarben". Sie trete, sagte sie, gleichsam nackt vor die Leinwand, ohne Absicht, ohne Planung, "doch habe ich einen Ansatzpunkt, der aus der Erkenntnis entsteht, dass das einzig mir wirklich Reale meine Gefühle sind, die sich innerhalb des Körpergehäuses abspielen".

Existenzielle Fragen

Von dieser Innenarchitektur sollte sie später immer wieder Brücken zur Außenwelt schlagen, die körperlichen Empfindungen mit ihren Erfahrungen in und mit der Welt in Beziehung setzen, die großen philosophischen Themen wie Tod, Liebe, Vergänglichkeit mitfühlen, im eigenen Leib spüren. Sie ekelte sich vor Kindesmissbrauch, sehnte sich nach Erotik und Schönheit. "Ich fange mit Körpererfahrung an. Dann kommen existenzielle Fragen hinein: das Krankenhaus. Die von Menschen malträtierte Natur. Krieg. Ich male die Summe meiner Zustände."

1968, nach Aufenthalten in Paris, reiste sie mit dem Schiff nach New York; tagsüber malte sie, abends saß sie am Tricktisch: "Es gab richtige Eifersüchteleien zwischen Malern und Filmemachern. Das verstehe ich gut. Ich bin ja auch auf die Fotografie eifersüchtig. Sie braucht weniger Plage und hat größere Wirkung." Gemeinsam mit Künstlerinnen wie Louise Bourgeois engagierte sie sich in der "Artists Women's Lib", denn "Ich glaube, jede nachdenkliche Frau ist Feministin."

Maria Lassnig malte und zeichnete, solange es ihr Körper zuließ: "Lehnstuhlbilder" nannte sie diese letzten, kleinformatigen Bilder, die im Sitzen entstanden, weil ihr das Stehen nach einem Oberschenkelhalsbruch beschwerlich geworden war. Und wenn Besuch kam, buk sie immer noch ihren berühmten Apfelstrudel, getreu ihrer Tagebucheintragung aus dem Jahr 1943: "Alles gut und schön – und trotzdem sehr beschissen."

Maria Lassnig starb am Dienstag 94-jährig in Wien. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 7.5.2014)

Reaktionen

Bundespräsident Heinz Fischer würdigte "die bedeutendste österreichische Malerin der letzten Jahrzehnte", deren Bilder "eine radikale weibliche Sicht auf den Körper und das eigene Selbst" eröffnet hätten. Lassnig habe es, so Kulturminister Josef Ostermayer verstanden, "die Ge-und Zerbrechlichkeit des Menschen und der menschlichen Existenz darzustellen." Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny betrauerte die "große, unangepasste und gefühlvolle Künstlerin, die ohne Glamour zu einer der bedeutendsten Künstlerinnen weltweit wurde." Das Mumok-Team um Direktorin Karola Kraus sagte, Lassnig habe die Malerei aus der Enge tradierter Regeln herausgeführt, "ohne die Darstellung von Figur und Subjekt in ihrer körperlichen und gesellschaftlichen Existenz aufzugeben." Joanneum-Direktor Peter Pakesch gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass heute das letzte Wort noch nicht gesprochen sei: "Da hat sie uns im wahrsten Sinne ein großes Erbe hinterlassen." Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder sagte, er habe noch vor wenigen Tagen mit Lassnig wegen der Albertina-Ausstellung anlässlich ihres 95. Geburtstags gesprochen: "Nun wird diese Ausstellung im Sommer 2015 eine Gedächtnisausstellung werden."