Bei Prozessstart um neun Uhr herrschte auf der Beschuldigtenbank bis auf einen Angeklagten Leere. Die Verhandlung begann eineinhalb Stunden verspätet.

Foto: Christian Fischer

Wiener Neustadt - Bei den Ermittlungen wegen Schlepperei gegen Asylwerber aus dem Umkreis der Votivkirchenbewegung spielte Diba S. eine nicht unbedeutende Rolle: Sie war eine von vier Dolmetschern, die die von der Polizei abgehörten Telefonate der Verdächtigen übersetzten.

Fünf Monate lang habe sie "von neun bis 18 Uhr" an dem Fall gearbeitet, habe die in Dari und Farsi, Urdu und Punjabi geführten Gespräche der Verdächtigen übersetzt. Habe einen Teil jener rund 10.000 Telefonüberwachungsprotokolle mit angefertigt, die das Gerüst der Anklage gegen die acht Männer aus Pakistan, Afghanistan und Indien bilden - erläutert die junge Frau aus Afghanistan.

Hätten sich die Verdächtigen zum Beispiel übers Wetter unterhalten, so habe sie das fürs Protokoll bloß zusammengefasst. Sei es in den Telefonaten hingegen um Schlepperei gegangen, habe sie "wortwörtlich gedolmetscht", schildert sie am ersten Tag des nach sieben Wochen in Wiener Neustadt neu aufgenommenen Prozesses. Doch nur einige Verteidigerfragen später wurden Sprünge in dieser Erklärung sichtbar.

Unzureichende Faktenlage

Ausgangspunkt ist das Telefonüberwachungsprotokoll (TÜ) 31, das bereits im März, vor der Prozessvertagung wegen unzureichender Faktenlage in der Anklage durch die Richterin, eine Rolle spielte. Darin kommt der Ausdruck "Schleppungsunwillige" vor, doch auf dem dazugehörigen Band ist laut einem Gerichtsdolmetscher nur der Satz "Die Leute sind gekommen" zu hören.

Wie sie derartige Diskrepanzen erkläre, will Anwalt Josef Philip Bischof von der Polizeidolmetscherin wissen: "Ich habe dieses Protokoll nicht verschriftlicht", antwortet sie. Wer bestimmt habe, was in die Protokolle hineingeschrieben werden solle, fragt der Anwalt nach. Das sei "in Absprache mit den anwesenden Polizisten geschehen", sagt sie. "So nach dem Prinzip: Das schreiben wir rein, damit es besser ausschaut?", spitzt Bischof zu. "Ja", sagt die Frau. Richterin Harbich greift sich an den Kopf.

Teamwork mit den Beamten

Auch die Zuordnung der Telefonate zu den Verdächtigen sei in vielen Fällen Teamwork mit der Polizei gewesen, schilderte die Übersetzerin, die keine Dolmetscherausbildung hat. Nach ihr kam ihr Bruder als Zeuge an die Reihe. Auch er wurde von den Ermittlern als Übersetzer eingesetzt.

Am Mittwoch wird der bis Ende Juni anberaumte Prozess mit der Befragung der beiden weiteren Dolmetscher fortgesetzt: eine erste Verzögerung, denn die beiden hätten bereits am Dienstag aussagen sollen. Überhaupt stand der neuerliche Schlepperprozessbeginn vom Timing her unter keinem guten Stern: Um neun Uhr saß nur einer der acht Beschuldigten im Gerichtssaal.

Weitere sechs der allesamt in Wien wohnenden Männer trudelten bis halb elf Uhr ein. Die beiden letzten erzählten, ihr Navi habe sie statt auf die Süd- auf die Westautobahn gelotst. Beschuldigter Nummer acht wiederum meldete sich krank. Doch eine von der Richterin geschickte Polizeistreife fand ihn in seiner Wohnung nicht vor. Am Mittwoch werde er eine ärztliche Bestätigung bringen, versprach sein Anwalt. (Irene Brickner, DER STANDARD, 7.5.2014)