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Zum Brauen von Pils und anderen untergärigen Bierarten benötigt man einen speziellen Hefepilz. Den dürften Zugvögel aus Süd- nach Nordamerika und von da nach Europa gebracht haben.

Foto: Sebastian Widmann/dapd

Madison - Im 15. Jahrhundert wurde in Bayern das erste Lagerbier gebraut. Zwar berichten Kulturhistoriker, dass auch schon in Mesopotamien und im alten Ägypten Bier hergestellt wurde. Doch das damalige vergorene Gebräu aus Wasser, Malz und Getreide hatte reichlich wenig mit dem kühlen Hellen zu tun, das in heimischen Biergärten ausgeschenkt wird.

Vor dem 15. Jahrhundert wurde Bier bei Temperaturen zwischen 15 und 20 Grad Celsius gebraut - die Fachbezeichnung dafür lautet obergärig. Erst durch die Verwendung einer speziellen Hefe gelang es den Lagerbier-Braumeistern, sogenanntes untergäriges Bier zu brauen, bei Temperaturen zwischen vier und neun Grad Celsius. Zu diesen Biersorten gehören Klassiker wie Pils und Lager, mit denen jährlich rund 250 Milliarden US-Dollar umgesetzt werden.

Der Pilz aus Patagonien ...

Das deutsche Reinheitsgebot ist längst kein Geheimnis mehr. Bei der Hefe handelt es sich um einen Hybrid, von dem lange nur ein Bestandteil bekannt war: die Bierhefe (Saccharomyces cerevisiae). 2011 fanden Forscher heraus, dass der Partnerorganismus ein Pilz ist, der in den Buchenwäldern Patagoniens beheimatet ist.

Erst durch die Fusion des patagonischen Pilzes S. eubayanus mit der herkömmlichen Bierhefe entstand die Hefeart Saccharomyces carlsbergensis, die schon bei niedrigen Temperaturen Zucker zu Alkohol vergären kann. Die Frage ist nur, wie der Pilz aus den Wäldern Argentiniens in die Brauereikeller Europas gelangte. Das war den Wissenschaftern ein Rätsel. Jetzt dürfte es aber eine heiße Spur bei der Suche nach der Grundlage für das kühle Helle geben.

Nach dem Fund 2011 nahmen die Forscher zunächst an, dass der Pilz über den Schiffsverkehr von Südamerika nach Europa gelangte. Doch "die These vom Transport in der Kolonialzeit war mit den Daten von 2011 nur kompatibel, wenn man davon ausgeht, dass die Lagerbier-Produktion vor der Anwendung der beiden Hybride begann", sagt Chris Hittinger von der University of Wisconsin-Madison, der bereits an dieser ersten Studie beteiligt war.

Weitere Nachforschungen und Untersuchungen der DNA des Hefepilzes konnten mögliche Migrationsrouten allerdings nicht erschließen, so der Experte für wild wachsende Hefepilze, der weitere Nachforschungen über die Verbreitung des patagonischen Pilzes anstellte. Bei den Untersuchungen zeigte sich, dass S. eubayanus zwar in Patagonien heimisch, aber nicht endemisch ist - und damit auch in ganz anderen Gegenden vorkommt. "Wir verstehen jetzt, dass die Hefe biogeografische Strukturen aufweist", so Hittinger.

Die Forscher fanden den Pilz etwa auch im Sheboygan Indian Mound Park (US-Bundesstaat Wisconsin), wie sie im Fachblatt "Molecular Biology" berichten. Wie aber war der Pilz an das Ufer des Michigansees gekommen? "Die neuen Daten legen eine frühere Migrationsbewegung nahe, an der gar keine Menschen beteiligt waren", so Hittinger. "Wir wissen, dass es zwischen Patagonien und Wisconsin Wanderbewegungen von Zugvögeln gibt - und auch von Kanada nach Europa."

Zugvögel sind für die Forscher mithin das plausibelste Beförderungsmittel. Sie könnten Pilzsporen über den Atlantischen Ozean transportiert haben - und so die Grundlage der Lagerbier-Brauerei geschaffen haben.

... versteckt in Europa?

Die Forscher vermuten, dass der Pilz auch in Europa beheimatet sein muss. "Die Präsenz von S.-eubayanus-Allelen in verschiedenen Hybriden, die bei der industriellen Fermentierung zum Einsatz kamen, spricht dafür, dass die Hefe in der Vergangenheit auf dem eurasischen Kontinent existierte, wenn er sich nicht sogar irgendwo versteckt findet", sagt Hittinger.

Fest steht: Der Hefepilz mag es kühl. In den nebelfeuchten Wäldern fühlt er sich am wohlsten. Fest steht aber auch, dass wir ohne S. eubayanus, "seine Vorliebe fürs Kalte und seinen Willen, mit anderen Arten zu verschmelzen", so Hittinger, "heute kein kühles Helles an einem warmen Frühlingstag genießen könnten". (Adrian Lobe, DER STANDARD, 7.5.2014)