Die Westschweizer Schriftstellerin S. Corinna Bille: Prix-Goncourt-Preisträgerin und nun wiederentdeckt durch ihren Erstlingsroman "Theoda", der in neuer Übersetzung vorliegt.

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S. Corinna Bille: "Theoda", Rotpunktverlag 2014, 200 S., 19.90 €

Cover: Rotpunktverlag

Wien - Wer nicht heiraten will, wälze sich im Brautkleid im Kuhmist. Dann wird die Botschaft schon ankommen. So hat es in jenem Bergdorf, von dem S. Corinna Bille in ihrem Roman berichtet, schon einmal eine vorgemacht. Zu Zeiten, als es in Ehedingen nur wenig Diskussionsspielraum gab. In Theoda, dem soeben von Gabriela Zehnder famos neu aus dem Französischen übersetzten Prosadebüt der Schweizer Dichterin (1912-1979), ist eine Eheschließung der Anfang eines unaufhaltsamen Zerstörungsprozesses.

Der 1944 erstmals erschienene Kurzroman handelt von der fatalen Liebe eines Paares, das sich in den kleinen und überaus durchschaubaren Strukturen eines harten Bergbauernlebens seinen unglückseligen Weg bahnt.

S. Corinna Bille, spätere Prix-Goncourt-Preis-Trägerin, hat das raue Leben selbst gekannt. In Lausanne geboren und von kunstsinnigen Eltern großgezogen, hat die Schriftstellerin selbst jahrelang ein nomadisches Leben in den Walliser Bergen geführt, meist im Gefolge einer Künstlergemeinschaft, zu der auch ihr zweiter Ehemann gehörte, der Dichter Maurice Chappaz. Viele der Schauplätze in ihren Büchern sind aus diesem biografischen Lebensabschnitt hergeleitet. Mit Heimattümelei hat das nichts zu tun. Bille stürzte sich auf die Beschreibung von Gesichtern, von Körpern, die eine Landschaft hervorgebracht hat.

Davon lebt auch Theoda. In ruhigen, kurzen, kahlen Sätzen, die oft nur Äußerlichkeiten vermerken, folgt das Buch den Geschehnissen nach einer Hochzeit. Barnabé hat Theoda geehelicht, eine junge Frau aus einem weiter entfernt liegenden Dorf. Die Jahreszeiten wechseln; alles bleibt ruhig. Zunächst.

Distanz durch Schüchternheit

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive eines jungen Mädchens, der jüngeren Schwester des Bräutigams, Marceline. Das ist eine unscheinbare, aber besondere Eigenheit des Buches: Man betrachtet das Geschehen mit jener Distanz, die die jugendliche Naivität und Schüchternheit des Mädchens vorgibt. Es erzeugt eine ungewöhnliche Spannung, aus der irgendwann die Tatsache des Ehebruchs hervorbricht.

Aus seiner Schlichtheit entwickelt dieses Buch seine wuchtige Wirkung. Aussagen brechen wie schwerer Donner hervor. Theoda nämlich liebt einen anderen, und das mit wilder, rücksichtsloser Entschlossenheit: "Sie war zu einer viel größeren Liebe, einem viel größeren Mut fähig als die anderen, aber ihr Gott war nicht GOTT, sondern ein Mann."

Das Buch berichtet nur indirekt von diesem Liebesverhältnis. Die Liebe selbst bleibt ohne Eigenschaften, sie findet ihren Ausdruck in den Dingen rundherum, in den sonntäglich wechselnden Schultertüchern etwa, insbesondere aber in einem aus der Kraft dieses Zustandes abgeleiteten Freiraum, den sich Theoda im Unterschied zu anderen Frauen des Dorfes wie selbstverständlich zugesteht - und der sie schon, noch bevor der Ehebruch bekannt wird, als Durchschnittsperson disqualifiziert. Die Geschichte des illegitimen Paares sprengt das reglementierte Zusammenleben und endet tödlich.

Zehnders Übersetzung dient ganz der vibrierenden Ruhe dieser Erzählung; man tritt beim Lesen immer wieder auf Minen. Seine Wiederentdeckung verdankt der Roman auch seinem komplex gehaltenen Begriff von Freiheit, vor allem aber einer unerhörten Beschreibungskraft. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 6.5.2014)