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Die Ordnung herrscht in Berlin.

Francesco Masci, "Die Ordnung herrscht in Berlin". Aus dem Französischen von Daniel Fastner. € 15,40 / 108 Seiten. Matthes & Seitz, Berlin 2014. 

Nick Paumgarten, "Berlin Nights". "The New Yorker", 24. März 2014

Foto: Matthes & Seitz

Es gehörte so lange zum guten Ton, Berlin toll, um nicht zu sagen dufte zu finden, dass Reaktionen darauf kommen mussten, nicht nur von Berlinern selbst, denen ihre Schaufensterexistenz langsam auf die Nerven ging.

Vor kurzem erschienen zeitgleich zwei sehr verschiedene Blicke von außen auf die Stadt. Mindestens so viel wie über das Sujet sagen sie etwas über die Möglichkeiten aus, Annäherungen an eine urbane Wirklichkeit in Sprache zu gießen.

Francesco Masci ist ein aus Perugia stammender Philosoph, der eine Zeitlang in Düsseldorf studiert hat und seit 20 Jahren in Paris lebt. Den Titel seines Buches hat er der Überschrift des letzten Artikels von Rosa Luxemburg im Jänner 1919 entnommen: Die Ordnung herrscht in Berlin. Diese Feststellung sollte sich allerdings laut Masci erst acht Jahrzehnte später, nach dem Mauerfall bewahrheiten.

In der neuen "Welthauptstadt der Folklore" herrscht ihm zufolge eine jeder Politik entkleidete Kultur der Bilder und Events, die die Geschichte "erstickt" und mit Klatschspalten verwechselt. In teils mehr als fünf Seiten langen Absätzen teilt der Autor, hegelianisch-dialektisch geschult, aus: Die Versprechen von Freiheit und Emanzipation sind zu Grabe getragen worden. Der Text eines "Graffitis" (sic!) ist sinnentleert. In der Stadt zirkuliert das Nichts.

Schließlich ein Hauch von Ostalgie, auch auf dem Einband zitiert: "Selbst die Verzweiflung an der irrationalen Teilung (...) ist dem Glück vorzuziehen, zu dem die Stadt heute verurteilt ist: dem wattierten Glück am Morgen nach dem Rave, der kein Ende nehmen will."

Man fragt sich, ob viele Exostberliner dem zustimmen würden. Man fragt sich bei Mascis Abrechnung auf hohem, durch viele Rückgriffe auf die (Geistes-)Geschichte abgesichertem Niveau auch, von welcher empirischen Wirklichkeit Berlins er schreibt. Es dauert viele Seiten, bis er sich auf Konkretionen der Stadt bezieht - auf den zur Legende gewordenen Club Berghain etwa oder, selbe Liga, den Tresor - beides natürlich ebenfalls nur Manifestationen einer aufgezwungenen Kulturhegemonie.

Allerdings sind dies "Kultur"-Orte, die die Mehrheit der Stadtbewohner nicht (mehr) interessieren. Wie überhaupt Berlin bei Masci eher als Auswuchs spätkapitalistischer Entfremdung herhalten muss denn als Ort, in dem in kleinbürgerlichen, türkischen, proletarischen und sonstigen Vierteln durchaus gearbeitet, gegessen und ferngesehen wird - ganz ohne Galerien als "postmortale Wülste" und sogar ohne Krawalle als Teil einer von Eventmanagern hochgehaltenen "Produktpalette".

Erklär mir mal, was hier läuft

Ganz anders geht Nick Paumgarten, Reporter für den New Yorker, auf die deutsche Hauptstadt zu. In seinem "Letter from Germany" beschreibt er Berlin Nights aus der Perspektive des neugierigen, naiven Amerikaners, der sagt: Erklär mir mal, was hier läuft.

Er lässt sich an der Hand führen und entdeckt die Berliner Szene sozusagen von unten her, anhand von Begegnungen, ohne theoretischen Überbau außer einem über die deutsche Musikszene seit Kraftwerk.

So landet auch Paumgarten im Berghain und erkundet dort und anderswo durchaus sachkundig die Verästelungen von Techno, House etc. Weniger souverän, für New Yorker-Verhältnisse erstaunlich klischeehaft schreibt er allerdings, wenn es um seine Unterhaltungen mit den Einwohnern geht. Einer zum Beispiel spreche "Sex Party" mit deutschem Akzent aus - no na, einen koreanischen wird er haben. Und in der Stadt sei alles erlaubt außer Jaywalking? Quatsch. Wenn wo Leute überall, wo's ihnen gerade passt, die Straße überqueren, dann in Berlin. (Michael Freund, DER STANDARD, Album, 3.5.2014)