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In Kiew lieferten sich am Mittwoch Mitglieder der Maidan-Protestbewegung vor dem Gebäude des Ministerrats eine Straßenschlacht mit der Polizei

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Wer genau die Bewaffneten sind, die am Mittwoch auf einem Militärfahrzeug durch Slawjansk fuhren, weiß auch EPA-Fotograf Roman Pilipey nicht.

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Außenminister Sebastian Kurz (hier mit Premierminister Arsenij Jazenjuk) weilt derzeit in Kiew

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Kiew/Moskau/Washington - Die ukrainische Führung hat nach eigenen Angaben die Kontrolle über Teile des krisengeschüttelten Ostens des Landes verloren. In den Gebieten Donezk und Lugansk seien die Sicherheitskräfte nicht in der Lage, die Situation unter Kontrolle zu bringen, sagte Interimspräsident Alexander Turtschinow am Mittwoch. "Der Hauptgrund ist, dass die Sicherheitsorgane unfähig sind, ihren Pflichten nachzukommen", kritisierte er.

Außerdem arbeiteten einzelne Einheiten von Polizei und Militär dort mit "terroristischen Organisationen" zusammen oder unterstützen diese zumindest, so Turtschinow.

Die Übergangsregierung habe die ukrainische Armee in "totalen Alarmzustand" versetzt, die Streitkräfte seien in "voller Kampfbereitschaft", teilte Turtschinow mit. Bei einer Kabinettssitzung sagte er, die Bedrohung durch einen von Russland angezettelten Krieg sei real.

Regierung lässt Milizen gründen

"Oberstes Ziel" der ukrainischen Regierung sei es, dass sich "der Terrorismus" nicht von Donezk und Lugansk auf den Rest des Landes ausdehne. "Wir haben uns entschlossen, vor Ort Milizen zu gründen, die aus Freiwilligen aus jeder Region bestehen", sagte der Übergangspräsident.

Jazenjuk droht Ministern

Ministerpräsident Jazenjuk forderte am Mittwoch seine Minister zu mehr Einsatz für ein Ende der Krise. Andernfalls werde er die Regierung umbilden. Die Bevölkerung verlange, dass die Regierung für Recht und Ordnung sorge. Sollten die Minister in naher Zukunft hier keine Fortschritte erzielen, werde dies personelle Konsequenzen haben.

Verwirrung um Manöver in Kiew

Die ukrainischen Streitkräfte werden nach Angaben des Verteidigungsministeriums entgegen einer vorherigen Ankündigung der Regierung kein Manöver in der Innenstadt von Kiew abhalten. Alle Soldaten und ihre Ausrüstung befänden sich in ihren zugewiesenen Stellungen, sie würden keine Übungen in der Hauptstadt abhalten, teilte das Ministerium am Mittwoch mit.

Eineinhalb Stunden zuvor hatte die Regierung auf ihrer Website Militärmanöver für die Nacht auf Donnerstag angekündigt. Zu diesem Widerspruch hieß es in Sicherheitskreisen, die Personenschützer des Präsidenten und führender Regierungsvertreter würden Übungen in der Hauptstadt abhalten.

Weitere Besetzung

Prorussische Separatisten besetzten am Mittwoch weitere Regierungsgebäude im Osten der Ukraine. In Horliwka hätten sie praktisch ohne Widerstand der Polizei deren Einrichtungen und die der Verwaltung übernommen, erfuhr die Nachrichtenagentur Reuters aus Polizeikreisen in Donezk. Horliwka liegt etwas nördlich von Donezk und hat 300.000 Einwohner.

Am Dienstag hatten Separatisten den Gouverneurssitz in Lugansk gestürmt. Ungeachtet der ukrainischen Offensive gegen die Rebellen halten diese nun öffentliche Gebäude in etwa einem Dutzend Städte besetzt.

Hoffnung auf Freilassung

Trotzdem wächst die Hoffnung, dass die festgehaltenen Militärbeobachter, die unter Leitung der OSZE in der Ostukraine sind, freikommen. "Es sieht danach aus, dass es eine baldige Freilassung geben kann, ohne einen Geiselaustausch", sagte der selbsternannte Bürgermeister der Stadt Slawjansk, Wjatscheslaw Ponomarjow, der "Bild"-Zeitung vom Mittwoch. Ponomarjow hatte die Geiseln zuvor der Öffentlichkeit präsentiert. Russlands Präsident Wladimir Putin äußerte konkret die Hoffnung, dass die auch aus Deutschland stammenden Militärs freikommen.

Er setze darauf, dass die Ausländer die Region ungehindert verlassen können, sagte Putin am Dienstagabend nach Angaben der Agentur Interfax. Russland hat wiederholt betont, keinen Einfluss auf die prorussischen Separatisten zu haben.

Der russische Präsident kritisierte die ukrainische Regierung dafür, dass sie die westlichen Militärs ins Land geholt habe. Darüber habe er auch bei seinem Treffen mit dem deutschen Altkanzler Gerhard Schröder am Montag in St. Petersburg gesprochen.

Die Separatisten hatten die unbewaffneten Beobachter am vergangenen Freitag festgehalten und mehrfach betont, damit inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen zu wollen. Der Separatistensprecher Igor Strelkow sagte dem TV-Sender Rossija-24 am Dienstagabend: "Bisher gab es keinen Versuch der Regierung in Kiew, mit uns Verhandlungen über die Gefangenen zu beginnen."

"Ordnungshüter, die die Ukraine verraten haben"

Interimspräsident Turtschinow warf den Sicherheitskräften im Osten des Landes Versagen vor. "Ordnungshüter, die die Ukraine verraten haben und mit den Terroristen zusammenarbeiten, werden zur Verantwortung gezogen", drohte Turtschinow in einer TV-Ansprache. Unbehelligt von ukrainischen Sicherheitskräften hatten Separatisten am Dienstag auch die Gebietsverwaltung von Luhansk eingenommen.

Am Abend gelang es ukrainischen Polizisten in einer sogenannten Anti-Terror-Aktion, zwei Straßensperren der prorussischen Kräfte im Landkreis Slawjansk zu räumen. Das teilte das Innenministerium in Kiew nach Angaben von Interfax mit. In der Region Slawjansk festgehalten werden drei deutsche Bundeswehroffiziere und ein deutscher Dolmetscher sowie je ein militärischer Beobachter aus Tschechien, Dänemark und Polen.

Die NATO sieht trotz Ankündigungen aus Moskau keine Hinweise auf einen russischen Truppenrückzug von der Grenze zur Ukraine. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu hatte während eines Telefonats mit seinem US-Kollegen Chuck Hagel gesagt, die Truppen seien abgezogen worden. Grund dafür sei die Beteuerung aus Kiew gewesen, die ukrainische Armee "nicht gegen unbewaffnete Zivilisten" im Osten des Landes einzusetzen.

Kein Hinweis auf russischen Abzug

Ein NATO-Diplomat sagte jedoch der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag, derzeit gebe es keine Informationen, "die auf einen Abzug russischer Truppen von der ukrainischen Grenze hindeuten". Das Bündnis fordere Russland "weiterhin auf, gemäß der Vereinbarung von Genf zugunsten von Diplomatie und Dialog alle Truppen entlang der ukrainischen Grenze abzuziehen". Die NATO hatte am 10. April Satellitenbilder aus dem Grenzgebiet veröffentlicht und von 35.000 bis 40.000 dort stationierten russischen Soldaten gesprochen.

Der Westen wirft Russland vor, sich einer Umsetzung der Genfer Vereinbarungen zu verweigern und die Krise in der Ukraine anzufachen. Die Europäische Union und die USA hatten daher am Montag eine Ausweitung der bisher verhängten Strafmaßnahmen beschlossen. In Genf waren unter Beteiligung Russlands die Bedingungen für eine Lösung des Konflikts ausgehandelt worden.

Putin kritisierte die Sanktionen der USA und der EU gegen Moskau. Der Westen habe sich in der Ukraine die "Suppe selbst eingebrockt" und suche jetzt "jemanden, der sie auslöffelt", sagte er in Minsk. Für direkte Sanktionen Russlands gegen den Westen als Reaktion auf die Strafmaßnahmen der EU und der USA sehe er keinen Anlass. Aber die Führung in Moskau müsse über die Rolle von westlichen Unternehmen in Schlüsselbranchen der russischen Wirtschaft nachdenken.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel verteidigte dagegen die Strafmaßnahmen gegen die russische Führung. Russland habe kein Recht, sich in die Entscheidungen der Ukraine einzumischen, sagte sie bei einer Europawahlkampf-Veranstaltung in Bremerhaven. "Die Ukraine ist ein freies Land." Die Menschen dort müssten sich frei entscheiden können, wie sie leben wollen. (APA, 30.4.2014)