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Betende Gefangene im Lager Guanatánamo im Jahr 2009: Für die meist tiefgläubigen Muslime war die Verwendung "westlicher" Musik bei den Verhören ein zusätzlicher Qualfaktor.

Foto: Reuters/Gembara

Washington/Göttingen/Wien - Den im Grunde US-kritischen Megahit von Bruce Springsteen kennen viele Ex-Gefangene der USA nur als Waffe in der Hand ihrer Feinde: Mit 100 Dezibel schallte "Born in the USA" stundenlang durch die Kopfhörer, die ihnen unter Zwang aufgesetzt worden waren, während sie gefesselt oder an den Handgelenken aufgehängt in kargen Zellen ausharren mussten.

"Im Gefangenenlager Guantánamo, im Irak und in Afghanistan wurden solche als patriotisch geltende Titel, aber auch Hardrock oder andere Hits zu Folterzwecken verwendet, als Zeichen des Triumphs über die Inhaftierten und um sie besonders zu demoralisieren", sagt Morag Josephine Grant, Musikwissenschaftlerin an der Georg-August-Universität im deutschen Göttingen. Dort endet heute, Dienstag, ein sechsjähriges Forschungsprojekt über "Musik, Konflikt und der Staat", das sich auch dem Thema "Musik als Folter" widmet.

Dunkles Kapitel der US-Folter

Auf Einladung des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Menschenrechte war Grant in Wien - um auf einem Podium unter anderem über Möglichkeiten zu diskutieren, das dunkle Kapitel der US-Folter nach 9/11 aufzuarbeiten.

Denn zwar sei die Beschallung inhaftierter politischer Gegner, ihre Entwürdigung, indem man sie zum Musikmachen oder Singen zwang, schon in den KZs des Dritten Reiches sowie nach 1945 in Ländern wie Griechenland und der Türkei, Uruguay und Chile praktiziert worden. Doch nie zuvor habe man Musik derart systematisch eingesetzt, um Gefangenen Geständnisse abzuringen wie im "Krieg gegen den Terror", betont der Menschenrechtsexperte der Universität Wien und ehemalige Sonderberichterstatter über Folter, Manfred Nowak.

Rechnung geschickt

Dass die Künstler prominent sind, eröffne Chancen für die Aufarbeitung, meint Grant. Öffentliches Interesse sei etwa garantiert gewesen, als im heurigen Februar die Band Skinny Puppy der US-Regierung eine Rechnung über umgerechnet 493.000 US-Dollar schickte, weil ihre Industrial-Musik in Guantánamo zum Einsatz gekommen sei. Oder als über dreißig bekannte Sänger und Bands von der US-Regierung 2009 Aufschluss über die von Gefolterten berichtete Verwendung ihrer Titel im "Krieg gegen den Terror" verlangten.

Zwar wurden ihnen konkrete Infos versagt. Doch die diesbezügliche Liste liest sich wie eine Zusammenfassung der Charts, damals und in den Jahrzehnten davor. Neben Springsteen sind Rocker wie AC/DC und Aerosmith, Rapper wie Eminem und Dr. Dre, Sängerinnen wie Britney Spears und Christina Aguilera sowie klassische Pop-Bands und -Barden wie die Bee Gees und Neil Diamond vertreten.

Anerkennung als Folter

Sowie Rolf Zuckowski, der die Titelmusik der Kindersendung "Sesamstraße" komponiert hat: Verbunden mit Fesselung und Isolation habe das Nichtwissen, wann die Zwangsbeschallung einsetzen und wann sie enden werde, jede Art von Musik zur Qual gemacht, berichten Überlebende.

Wichtig sei, derlei Verwendung von Musik nicht zu verniedlichen, indem man ihr den Stellenwert als Folter aberkenne - und sie stattdessen als bloße "grausame, unmenschliche und erniedrigende Handlung" bezeichne, betonte bei der Podiumsdiskussion die Juristin am Wiener Boltzmann-Institut für Menschenrechte Gerrit Zach. Diese Tendenz existiere vor allem in den USA: "eine inakzeptable Relativierung". (Irene Brickner, DER STANDARD, 29.4.2014)