Die Schöne (Léa Seydoux) wird gleich etwas sehr Hässliches erspähen. Es ist das Biest!  

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Wien - So wie Geschichten zu Bildern, so können auch Bilder zu Geschichten werden. Eine junge Mutter liest ihren Kindern aus einem wunderschön gestalteten Buch vor, und während ihre sanfte Stimme den Raum erfüllt, beginnen die Zeichnungen auf den Seiten lebendig zu werden: Ein Segelschiff versinkt im tosenden Meer, ein reicher Kaufmann verliert sein Hab und Gut, einer Familie wird ein bescheidenes Dasein auf dem Land auferlegt.

Im Gegensatz zu ihren Geschwistern ist die jüngste Tochter mit ihrem neuen Leben jedoch zufrieden, denn statt nach Reichtum steht ihr der Sinn nach Gartenarbeit und Rosen. Und so kommt es, dass Belle (Léa Seydoux) ihren alten Vater mit dem weichen Herzen (André Dussollier) bittet, ihr eine Blume aus der Stadt mitzubringen. "Eine Rose für ein Leben", faucht diesem wenig später die Bestie (Vincent Cassel), ein zotteliges Monstrum mit gefletschten Zähnen, ins Gesicht. Aus deren verwunschenem Schlossgarten hat der Vater eine rote Rose gepflückt, und für diese soll er sein Leben lassen - es sei denn, seine jüngste Tochter nimmt seinen Platz ein.

Das französische Volksmärchen La Belle et la Bête war bereits in seiner Originalversion von Madame de Villeneuve Mitte des 18. Jahrhunderts ein Sammelsurium unterschiedlicher Motive und Mythen. Die Tochter, die sich freiwillig in die Fänge des Biests begibt, ist eine jener zahlreichen jungfräulichen Schönheiten der Literaturgeschichte, die mittels Kraft der Liebe die Grausamkeit und die Hässlichkeit besiegen. Noch stärker als der verwandte Froschkönig wird La Belle et la Bête von seiner sexuellen Konnotation bestimmt: Die Schöne zähmt das Tier im Mann und gewährt ihm die Rückkehr in eine tugendhafte Zivilisation.

Der Franzose Christophe Gans, der seine Vorliebe für das Fantastische bereits mit dem Mystery-Abenteuer Pakt der Wölfe unter Beweis stellte, vertraut in seiner aktuellen Kinoadaption allerdings in erster Linie auf Atmosphäre und Schauwert. Das gelingt durchaus formidabel, wenn sich der verwunschene Garten als unzugängliche grüne Wildnis inmitten einer eisigen Winterlandschaft präsentiert oder im rosenumrankten Schloss sich die Wege und Belles Gedanken verlieren.

Doch sobald das Staunen endet und die Erzählung der Schönen und dem Biest eine psychologische Beziehungsarbeit abverlangt, kommen die ersten dramaturgischen Risse zum Vorschein. Wohl auch um seinen männlichen Star nicht zu lange hinter einer echten Tierfellmaske verstecken zu müssen, gewinnen Rückblenden, die einem das Schicksal des verzauberten Prinzen vor Augen führen, zunehmend die Oberhand. Schließlich löst ein skrupelloser Bösewicht mit seinem Eindringen in die verbotene Zone das obligate finale Actionspektakel aus. So bleibt Jean Cocteaus poetische Adaption von 1945, mit Jean Marais in einer Dreifachrolle, nach wie vor das Maß der Dinge. Cocteau konzentrierte sich ausschließlich auf das Wesentliche dieser fantastischen Fabel: auf das erlösende Leiden unsterblicher Liebe. (Michael Pekler, DER STANDARD, 29.4.2014)