Grafik: Der Standard

Nachdem die ursprünglichen Propagandisten der "evidence-based policy" in der OECD dieses Konzept bereits aufgegeben hatten und zur "evidence-informed policy" übergegangen waren, sind die EU und - wie meistens - verspätet auch Österreich auf diese Rhetorik aufgesprungen. Es wurden anscheinend Schritte in dieser Richtung gesetzt. Unter anderem: verstärkte Teilnahme an den internationalen Leistungserhebungen, Gründung des Bifie als Entwicklungs- und Forschungsinstitut, Bildungsberichterstattung durch die Nationalen Bildungsberichte, Implementation der Bildungsstandards, "Kompetenzorientierung".

Näher besehen ist es aber bei der Rhetorik geblieben, und die Politik ist weder "evidence-based' noch "evidence-informed" geworden. Die Nichtnutzung von Evidenzen ist schlagend und kommt auch in den jüngsten Turbulenzen fundamental zum Ausdruck. Bei allen Problemen und Diskussionspunkten im Detail haben Pisa und auch andere Leistungserhebungen einen Befund ergeben: mittlere oder schlechte Leistungen des Bildungswesens bei hohen Kosten, ökonomisch ausgedrückt heißt das Ineffizienz.

Zwei Lösungen

Stilisiert - und auch sehr einleuchtend - gibt es in diesem Fall zwei Richtungen der Lösung: 1. Erhöhung der Leistungen bei gegebenen Kosten oder 2. Reduzierung der relativ überhöhten Kosten. Evidenzen ergeben eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit der Wirksamkeit für die Lösung 2.

Was hat die österreichische Bildungspolitik im weitgehenden Konsens gemacht? Sie hat eine Lösung 3 gewählt: Erhöhung der Kosten ohne (zureichende) Kontrolle der Leistungen. Einer der stärksten kostentreibenden Faktoren ist nachweislich die Reduzierung der Klassenschülerzahlen, die - außer in extremeren Bereichen, die in Österreich nicht gegeben sind - keine Verbesserung der Leistungen (aber vor allem eine Entlastung der Lehrpersonen, und Popularität für die Politik) bringt. Dies wurde im Wahlkampf Gusenbauer gegen Schwarz-Blau als eine der fundamentalen bildungspolitischen Forderungen erhoben, und auch - mehr oder weniger - umgesetzt.

Dritter Weg

Eine zweite kostentreibende Maßnahme mit nachhaltiger Zukunftswirkung ohne Gegenrechnung auf der Seite der Leistungen war die Neue Mittelschule. Es ist klar, dass eine zweite Lehrperson die Kosten einer Stunde grosso modo verdoppelt; grob gesprochen erhöht dieses Konzept die Kosten des entsprechenden Schulbereichs um etwa 50 Prozent.

Was hätte die Nutzung von Evidenz bedeutet? Vor der Wahl der Lösung 3 Richtung Erhöhung der Kosten hätte eine ernsthafte Analyse des gegebenen Missverhältnisses von Kosten und Leistungen stattfinden müssen. Dies ist außer kleinen Ansätzen nicht geschehen, wie auch eine nähere Analyse der Ergebnisse von Pisa und den Leistungserhebungen bestenfalls in Ansätzen stattgefunden hat. Was eine nähere Analyse und Nutzung bedeutet, kann man in Deutschland studieren. Die Daten wurden überdies durch das Bifie, das unter starker politischer Kontrolle steht, weitgehend monopolisiert, und nicht einmal als Projektnehmer für den Pisa-Expertenbericht konnte man uneingeschränkt über die nationalen Daten verfügen - so weit zum "Datenleck" dort.

Bevor auch grundsätzliche Festlegungen und Befürwortungen für eine (pauschale) Ausweitung der Bildungsausgaben (zum Beispiel in der LLL-2020-Strategie, oder auch seitens führender Forschungsinstitute) getroffen wurden, hätte eine genauere Analyse stattfinden müssen, in welchen Bereichen zusätzliche Ausgaben tatsächlich erforderlich sind. Es sei nur an die Probleme und Forderungen im Bereich der Hochschulen und der Forschung zu erinnern.

Nun wurde im Zuge der offensichtlich u. a. durch politisch bedingte Probleme erforderlichen Sparmaßnahmen - wiederum politisch bedingt - aus den riesigen und überproportionalen Bildungsausgaben minimale Einsparungen vereinbart, die unter dem einhelligen Widerstand aller beteiligten Kräfte zurückgenommen wurden. Längerfristig kann man zeigen, dass jede leichte Kostendämpfung im Bildungswesen in der Folge durch eine überproportionale Ausweitung der Ausgaben beantwortet wurde.

Was aus Pisa anscheinend gelernt wurde, das Missverhältnis von Leistungen und Kosten, wurde entgegen jeder Evidenz im Konsens mit substanziellen Kostensteigerungen beantwortet. In diesem Sinne kann das negative Signal der Pisa-Aussetzung vielleicht auch positiv für eine Überprüfung der substantiellen Nutzung sprechen. Eine kleine Rücknahme nicht gerechtfertigten Steigerungen trifft auf einhelligen Widerstand aller Kräfte und wird zurückgenommen. Offensichtlich gibt es neben dem Streit auch eine Konsensbasis in der Bildungspolitik, diese sollte vielleicht einmal statt zur "Kostensteigerung" auch zur "Vernunftsteigerung" genutzt werden. Dazu müssten die verfügbaren Evidenzen aber nicht nur politisch ausgebeutet, sondern auch als Information genutzt werden. (Lorenz Lassnig, DER STANDARD, 28.4.2014)