Für Polen, Ungarn, Tschechen, Letten und Slowenen war die Europäische Union vor dem Beitritt ihrer Länder ein Versprechen. Mit der Zugehörigkeit zur EU sollte der Lebensstandard der Menschen steigen und sich dem Niveau in Westeuropa angleichen. Vor allem diese Erwartungshaltung ließ die Menschen im Osten bei den EU-Referenden mit überwältigender Mehrheit mit Ja stimmen.

Zehn Jahre später sieht es so aus, als hätte Europa sein Versprechen gebrochen. Auch wenn einzelne Regionen wie Bratislava florieren, hat kein einziges der 2004 beigetretenen Länder in Osteuropa das Wohlstandsniveau des Westens erreicht. Am nächsten gekommen sind noch die Slowenen: Laut Zahlen des Wiener Osteuropainstituts wiiw entspricht die Wirtschaftsleistung pro Kopf in Slowenien 83 Prozent des EU-Durchschnitts. Ungarn und Polen kommen gar nur auf 68 und 69 Prozent, auch die baltischen Staaten sind abgeschlagen.

Noch ernüchternder: Nach den Prognosen der meisten Ökonomen dürfte der Aufholprozess zum Stillstand gekommen sein. Nach der Rezession Anfang der 90er-Jahre als Folge der kapitalistischen Transformation holten die Länder der Region zwischen 1995 und 2009 in puncto Wohlstand deutlich auf. Doch mit der Krise endete die Entwicklung. Laut Einschätzung der Osteuropabank EBRD dürfte keines der Erweiterungsländer in den kommenden 20 Jahren das Niveau im Westen erreichen, nicht einmal die Slowakei, deren Wirtschaft stark wächst. Aber woran liegt das?

Wachstumsmodelle stoßen an Grenzen

Vor allem daran, dass die Wachstumsmodelle der Länder an ihre Grenzen gestoßen sind. "Die goldene Ära der Konvergenz ist vorbei. Bis 2007 konnten viele Länder hohes Wachstum verzeichnen, indem sie ausländische Investitionen und damit auch Technologien angelockt haben", sagt Michael Landesmann, Forschungsdirektor des wiiw. Ausländisches Kapital war eine wichtige Zutat für die Konvergenzformel Osteuropas.

Längst haben sich die Kredite als Gegen- statt als Rückenwind entpuppt. Der Internationale Währungsfonds schätzt das Potenzialwachstum der osteuropäischen Länder bis 2017 auf gerade einmal 2,25 Prozent - ausgerechnet wegen der straffen Finanzierungsbedingungen. Weil die Finanzmittel knapper sind, werden auch die dringend nötigen Investitionen, etwa in Infrastruktur, ausbleiben. Ein Gegenwind für die nächsten Jahre dürften auch die hohen Bestände fauler Kredite sein (14 Prozent der Gesamtforderungen), die erst abgetragen werden müssen. "Der Prozess der Entschuldung wird weiter auf das Wachstum drücken", sagt Landesmann.

Ein weiteres Problem ist die Demografie, sagt Peter Brezinschek, Chefvolkswirt von Raiffeisen Research. In Ungarn und Polen etwa wird die Arbeitsbevölkerung zwischen 2010 und 2025 laut UN-Zahlen schrumpfen, in der Slowakei und Slowenien deutlich langsamer wachsen als in der vorangegangenen Dekade.

Der Ökonom Kurt Bayer empfiehlt den osteuropäischen Ländern, "das eigene technologische Potenzial" zu erhöhen, anstatt nur auf Zulieferaufträge für Deutschland zu schielen. Investitionen in Forschung und Industriepolitik zum Aufbau von eigenem Know-how könnten die Länder nützen. Dann sollten die Staaten Osteuropas "wieder doppelt so schnell wie Westeuropa wachsen", so Bayer. Angesichts der absolut gesehen niedrigen Wachstumsraten ist das allerdings keine rosige Perspektive für höheren Wohlstand in Osteuropa. (sulu; szi, DER STANDARD, 26.4.2014)